Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die russische Drohung mit Atomwaffen, um Deutschlands plötzliche Aufrüstung – und um die Frage, welche Länder eigentlich noch zu Russland stehen.
Putins gefährliche Atom-Drohung
In vielen Familien gibt es einen alten Onkel oder Opa, der AfD wählt und beim Osterbrunch nach drei Schnäpsen wirres Zeug redet. Doch nur wenige davon kommandieren ein Arsenal mit Nuklearwaffen. So wie Wladimir Putin. Von ihm nehmen einige westliche Beobachter inzwischen an, dass er halbwegs den Verstand verloren hat.
»Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.« Putin habe offenbar »gesundheitliche Probleme«, sagt etwa Senator Marco Rubio, immerhin Vize-Chef im Geheimdienstausschuss des US-Senats und damit Empfänger spezieller Berichte der amerikanischen Nachrichtendienste über Russland.
AdvertisementRusslands Präsident Wladimir Putin: »Irgendetwas stimmt mit ihm nicht«
Foto: Sergei Guneyev / AP
Kann sein, kann nicht sein. Fest steht: Der Kremlherrscher hat sich bei seinem Angriff auf die Ukraine wohl verkalkuliert. Seine Armee stößt auf den erbitterten Widerstand der tapferen Ukrainer, der Westen und ein paar Länder mehr stehen geschlossen wie nie gegen ihn, die russische Wirtschaft wird von brutalen Sanktionen heimgesucht, und selbst in seinem eigenen Land beginnt sich erster Widerstand gegen seine Herrschaft zu regen. Die Anti-Kriegs-Proteste auf den Straßen der russischen Großstädte nehmen zu.
Derart bloßgestellt, greift Putin auf eine alte sowjetische Einschüchterungstaktik zurück: Er droht mehr oder weniger unverhohlen mit einem Atomschlag gegen den Westen. Er lässt die Alarmbereitschaft seiner Nukleartruppen erhöhen. Klugerweise reagieren die USA, die die Möglichkeit hätten, ganz Russland mit Atomwaffen zu vernichten, zurückhaltend auf dieses Manöver. Man will sich offenkundig nicht weiter in eine Eskalationsspirale ziehen lassen. Das Weiße Haus verzichtet jedenfalls auf vergleichbare Maßnahmen. Die US-Atomstreitkräfte seien ohnehin stets in der Lage, auf einen Angriff zu reagieren, heißt es in Washington.
In dieser aufgeheizten Stimmung sollen ukrainische und russische Unterhändler heute an der belarussisch-ukrainischen Grenze über eine mögliche Lösung des Konflikts verhandeln. Es stellt sich allerdings die Frage, was solche Gespräche bringen sollen, wenn nicht mindestens eine der beiden Seiten bereit wäre, erhebliche Zugeständnisse zu machen. Dass Putin zu den Gesprächen offenbar nur einige eher weniger relevante Unterlinge entsendet, dürfte ein Zeichen dafür sein, dass er noch lange nicht zu einer echten Friedenslösung bereit ist.
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Russlands Krieg in der Ukraine: Westliche Staaten verurteilen Russlands nukleare Drohgebärden scharf
Ein guter Tag für die Rüstungslobby
Als verschlafen wurde die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in den vergangenen Monaten aus US-Perspektive wahrgenommen. Die Deutschen würden die militärischen Gefahren und Bedrohungen, die weltweit bestünden, nicht wahrnehmen, hieß es in Washington. So gesehen ist Berlin nun aufgewacht: Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag, 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen und den Verteidigungsetat dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, ist eine Zäsur. Dies wird nicht nur Deutschland verändern, sondern auch Europa: Mit einer derart hochgerüsteten deutschen Armee wird die EU neben den Mächten USA, China und Russland zu einem militärischen Giganten.
Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag: Wo versickern die frischen Milliarden?
Foto: Odd Andersen / AFP
Das kann man mögen oder nicht, es ist angesichts der russischen Bedrohung eine schlichte Notwendigkeit.
Es gibt nur ein Problem: Die Tollpatschigkeit, mit der manche bürokratischen Apparate bisweilen das Geld anderer Leute ausgeben, lässt für diese Aufrüstungs-Bonanza nichts Gutes erahnen. Das gilt besonders für die Bundeswehr, die in dieser Hinsicht eine lange und unrühmliche Tradition hat. Die Unerfahrenheit der neuen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (die mit den Helmen) macht die Sache nicht besser.
Zu befürchten ist, dass als Kollateralschaden nun auch etliche Steuermillionen in nutzlosen militärischen Unfug versenkt werden. Das heißt, es werden Sachen gekauft, die nicht gerade schießen oder nicht richtig fliegen. Daran verdienen werden vor allem die Rüstungskonzerne und einige Lobbyisten, Typ Coronamasken-Vermittler. Wo viel Geld zu holen ist, sind die bekanntlich nie weit.
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Olaf Scholz’ Regierungserklärung: Ein Kanzler im Krieg
Wer gewinnt den Social-Media-Krieg?
Zu den Grundregeln jedes Krieges zählt, dass man nicht nur das Schlachtfeld beherrschen muss, sondern auch die Sphäre der öffentlichen Meinung. Der Ukrainekrieg ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig in dieser Hinsicht die sozialen Medien geworden sind. Die Dienste Facebook, Twitter und Instagram sind voll von Videos, in denen brennende russische Panzer oder Heldentaten von Ukrainern zu sehen sind. So wird dokumentiert, wie der russische Vormarsch offenbar ins Stocken geraten ist.
Das ist gut für die Ukrainer: Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung nutzen die sozialen Medien gekonnt, um den Kampfeswillen der eigenen Leute anzufeuern. Zugleich sichern sie sich auch mithilfe der sozialen Medien die fortdauernde Unterstützung in der westlichen Welt.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew
Foto: Uncredited / dpa
Die erschütternden Bilder des ungleichen Kampfes David gegen Goliath aus Kiew lassen niemanden kalt. Auch nach Russland dringen diese Informationen durch. Dies facht dort wiederum vor allem unter den Jüngeren den Widerstand gegen den Krieg an.
Putin, der das Netz einst geschickt nutzte, um die US-Wahl zu beeinflussen, scheint dagegen in den sozialen Medien zu verlieren. Er setzt vor allem auf das klassische Fernsehen und Radio, die seine Propaganda ausstrahlen. Sie werden überwiegend von älteren Menschen genutzt, die zu seinen wichtigsten Unterstützern zählen. Wenn mehr und mehr tote Soldaten aus Kiew zurückkehren, dürfte dies aber auch Putins Fans nicht mehr lange verborgen bleiben.
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Ukrainischer Präsident Selenskyj: Verteidiger der freien Welt
Verlierer des Tages…
Chinas Präsident Xi Jinping, indischer Kollege Narendra Modi (Archivbild)
Foto: Manish Swarup/ dpa
… sind all jene Länder, die sich an der Eindämmung Russlands nicht beteiligen wollen. Allen voran China, aber auch Indien, das seltsam zurückhaltend agiert. Offenbar will man es sich in Neu-Delhi nicht mit Moskau verscherzen.
Bei einer Abstimmung im Uno-Sicherheitsrat, in der Putins Vorgehen verurteilt werden sollte, enthielt sich Indien neben China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch bei einer Abstimmung am Sonntag über die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung der Uno-Vollversammlung waren es wieder diese drei Länder, die sich enthielten. Die Einberufung der Sitzung konnten sie allerdings nicht aufhalten. Sie soll heute in New York stattfinden.
Besonders peinlich benimmt sich indes Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro. Obwohl Brasilien im Sicherheitsrat gegen Russland stimmte, lehnt er es ab, den russischen Einmarsch zu verurteilen. »Wir werden nicht Partei ergreifen, wir werden weiterhin neutral bleiben und mit allem, was möglich ist, helfen«, so Bolsonaro nach einem Telefonat mit Putin. Das nennt man dann wohl echte Autokraten-Solidarität.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Roland Nelles