1000 Panzerabwehrwaffen und 500 Boden-Luft-Raketen: Diese Waffen will Deutschland an die Ukraine liefern und hat damit nach heftiger Kritik aus dem In- und Ausland einen deutlichen Kurswechsel vollzogen. Die »Ampel«-Koalition stellt nun sogar weitere Maßnahmen in Aussicht – gleichzeitig weist mancher die Kritik zurück, die Bundesregierung habe erst auf Druck der internationalen Partner eingelenkt.
Dieser Eindruck sei falsch, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Sonntag im ARD-»Morgenmagazin« und bezog sich dabei auch darauf, dass Deutschland zudem nach längerer Zurückhaltung schließlich einem Ausschluss bestimmter russischer Finanzinstitute aus dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift zugestimmt hatte.
Gemeinsam mit den USA und anderen westlichen Ländern hatte man sich am Samstag auf diese Maßnahme geeinigt. Der Schritt könnte dazu führen, dass der Handel zwischen Russland und dem Westen weitreichend eingeschränkt wird. Schon in den vergangenen Wochen habe man gesagt, es liege alles auf dem Tisch. Das betreffe etwa die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland genauso wie Swift, so Dürr.
AdvertisementFDP: »Herr Putin überrascht uns unglücklicherweise dauernd«
»Wichtig ist, dass erstens der Westen zusammensteht und zweitens, dass die Maßnahmen sehr gezielt gegen die russische Führung wirken«, sagte er. Dies sei bei der Abschaltung von Swift der Fall, wo große russische Banken nicht mehr am internationalen Finanzwesen teilnehmen könnten. Zugleich betonte der FDP-Politiker: »Das ist sicherlich nicht das Ende der Sanktionen gegen Russland.«
Zur Kehrtwende bei den deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine sagte Dürr, es werde hinter den Kulissen fortwährend verhandelt. Es könne aber nicht alles öffentlich gemacht werden, weil dies dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spiele.
Die Waffenlieferungen seien vorbereitet worden, sie würden jetzt zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt. »Herr Putin überrascht uns unglücklicherweise dauernd. Umgekehrt wird es der Westen genauso tun. Und wichtig ist, dass der Westen zusammensteht.«
Bis zu diesem Wochenende hatte Deutschland sich lediglich bereit erklärt, die von der Ukraine angeforderten 5000 Schutzhelme zu liefern. Sie waren am Freitag in zwei Lastwagen auf den Weg gebracht worden. Die Ukraine hatte die deutsche Zurückhaltung bei den Rüstungslieferungen scharf kritisiert. Andere Nato-Staaten wie die USA, Großbritannien und auch baltische Ländern unterstützen das Land bereits mit Waffen.
Grüne: »Das ist für meine Partei keine einfache Situation«
Grünen-Chefin Ricarda Lang befürwortete die Waffenlieferungen an die Ukraine im »Morgenmagazin« der ARD ebenfalls. Putin habe die Tür der Diplomatie zugeschlagen. Er setze auf einen Angriffs- und Vernichtungskrieg. »In dieser Situation hat die Ukraine ein unabdingbares Recht auf Selbstverteidigung. Dieses Recht erkennen wir nicht nur an. Sondern wir stehen solidarisch an der Seite der Ukraine.«
Dazu gehöre, »dass wir sie mit dem Material ausstatten, das sie brauchen, um von diesem Recht Gebrauch zu machen. Also auch Waffenlieferungen«, so die Grünen-Politikerin. Sie räumte ein: »Das ist für meine Partei keine einfache Situation.« Was man erlebt habe, sei aber eine Zäsur und eine Zeitenwende.
»In so einem historischen Moment geht es nicht darum zu verteidigen, was wir schon immer gesagt haben. Jetzt geht es darum, wie wir Demokratie, Frieden und Freiheit in Europa schützen können.«
Linke: Sanktionen gegen russische Führung »durchaus vernünftig«
Auch Linken-Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali lobte die Sanktionen des Westens gegen die russische Führung. Man halte Aufrüstung und Militarisierung nach wie vor nicht für den richtigen Weg, sagte sie in der ARD-Sendung. Sanktionen gegen Russland und vor allem gegen die Führung in Moskau seien aber vernünftig.
Dies habe man in der Vergangenheit immer abgelehnt. Wenn man im Zusammenhang mit dem Banken-Kommunikationsnetzwerk Swift gezielt die Führungsriege treffe, »ist das durchaus vernünftig«, ergänzte sie. Mohamed Ali räumte ein, die Linke habe die Rationalität von Putin überschätzt. »Wir haben nicht erwartet, dass er diesen Angriffskrieg startet.«
Zugleich lehnte sie eine weitere Aufrüstung der Nato ab. Die Nato-Staaten seien bereits sehr stark aufgerüstet. »Dass man hier mit noch mehr Militarisierung eine Abschreckung erreichen kann, das glaube ich tatsächlich nicht.« Es müsse nun alles für eine Entspannung unternommen werden, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Man müsse versuchen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
AfD: »Das Problem ist die Ukraine gewesen«
AfD-Co-Fraktionschefin Alice Weidel verurteilte zwar den russischen Angriff auf die Ukraine als völkerrechtswidrig, bemängelte aber zugleich, dass der Westen nicht frühzeitig für eine Neutralität Kiews gesorgt habe. Die AfD hätte sich gewünscht, dass es rechtzeitige Bemühungen gegeben hätte, »die Ukraine und sämtliche andere Anrainerstaaten auf einen Neutralitätsstatus zu setzen und nicht immer weiter die Grenzen der Nato-Osterweiterung zu verschieben«, sagte Weidel.
Heute gebe es das »Problem der russischen Kränkung, warum es zu diesem Angriffskrieg überhaupt gekommen ist«. Weidel sagte: »Das Problem ist die Ukraine gewesen. Das Problem des mangelnden Neutralitätsstatus, und das hat man verschlafen.«
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will an diesem Sonntag bei einer Sondersitzung des Bundestags zunächst eine 30-minütige Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine und dem deutschen Vorgehen abgeben, gefolgt von einer zweieinhalbstündigen Aussprache der Fraktionen.
In einem gemeinsamen Entschließungsantrag für den Bundestag fordern die Koalitionsfraktionen und die Union weitere Unterstützung für die Ukraine – finanziell und humanitär, aber auch militärisch. Die Bundesregierung solle »prüfen, ob weitere militärische Ausrüstungsgüter der Ukraine zur Verfügung gestellt werden können«, heißt es in dem Antrag, der AFP vorliegt und der am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags beschlossen werden soll.
In dem Papier nehmen die Fraktionen auch eine Erhöhung des Wehretats ins Visier: Sie fordern die Bundesregierung auf, »die Modernisierung der Bundeswehr mit dem Ziel voll ausgestatteter und voll einsatzbereiter Streitkräfte weiter voranzutreiben«, heißt es in dem Antrag. Dabei gehe es darum, »bestehende Fähigkeitslücken umgehend zu schließen und die notwendigen finanziellen Ressourcen dafür zeitnah und langfristig bereitzustellen«.
Unterschrieben ist der Entschließungsantrag von der Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Katharina Dröge und Britta Haßelmann (Grüne), Christian Dürr (FDP) sowie Friedrich Merz (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht?
Indes mehren sich weitere Stimmen, wonach Deutschland aus der aktuellen Situation Konsequenzen für die Aufstellung der Bundeswehr ziehen muss. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte zuletzt wiederholt einen größeren Verteidigungsetat gefordert.
»Nach mehr als einem Jahrzehnt der Vernachlässigung kann es bei der Bundeswehr nicht so weitergehen wie bisher«, sagte er der »Bild am Sonntag«. Klar sei auch, dass dann an anderer Stelle Mittel fehlen würden. Angesichts des Angriffskrieges in der Ukraine brauche es deshalb einen »sicherheitspolitischen Konsens« in Deutschland.
Der Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Patrick Sensburg (CDU) forderte eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. »Nach Ende der aktuellen Aggressionen Russlands gegen die Ukraine müssen wir in Deutschland dringend über die Sinnhaftigkeit der Aussetzung der Wehrpflicht diskutieren«, sagte er der »Bild am Sonntag«.
Die allgemeine Wehrpficht war in Deutschland 2011 abgeschafft worden. Forderung nach einer Wiedereinführung kam bislang fast ausschließlich aus dem Lager der AfD.