Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Sturm über Deutschland – Stimmungstief bei Coronaleugnern?
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Krise in Ostereuropa – Erleben wir einen Kuba- oder einen München-Moment?
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Teure WG-Zimmer – Warum sind die Mieten so hoch wie nie?
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1. Sturm in den Köpfen – was bleibt festzuhalten?
Der nächste schwere Sturm zieht über Deutschland: »Zeynep« könnte sogar noch heftiger werden als Tief »Ylenia«, warnen Meteorologen. In Großbritannien und Irland wütete »Zeynep« bereits, dort unter dem Namen »Eunice«. Der Deutsche Wetterdienst empfiehlt für einige Gegenden: »Vermeiden Sie möglichst den Aufenthalt im Freien! Verlassen Sie nicht das Haus!« Gestern schon fiel der Zugverkehr vielerorts aus, einige Bundesländer schlossen die Schulen. (Alles Wichtige zum Sturm finden Sie hier.)
Schäden durch Sturmtief »Ylenia« über Hannover, hier ein umgestürzter Baum am Maschsee
Foto: Rainer Droese / localpic / IMAGO
Ein Gedankenspiel, das schief wirken mag, aber auf der Hand liegt: Die Schule fällt aus, wir sollen drinnen bleiben, überall Alarm – das muss doch bei Corona-Leugnern und Verschwörungsideologen etwas auslösen. Die vergrößern schließlich ihren Sicherheitsabstand zur Realität seit fast zwei Jahren. Wagen wir also einen Blick in den gedanklichen Panic-Room: den fiktiven Telegram-Kanal mit dem Titel »Wind? Gab’s schon immer!«.
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»Mit der Corona-Lüge kommen sie nicht mehr durch, sogar Lauterbach will lockern. Jetzt versuchen sie es mit dem Wetter… lasst Euch nicht einsperren!«
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»Sturm? Von wegen! Die Bahn fährt nur nicht, damit die Schlafschaffner 3G nicht kontrollieren müssen.«
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»Was kommt als Nächstes, Helme? Damit die wertvollen Köpfchen weiter alles abnicken können?«
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»Die Freimaurer stecken dahinter, sie sind in Meteoro-Logen organisiert. Werk des BÖsen.«
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»Der Wind ist echt, aber ob es ein ›Sturm‹ ist, sei dahingestellt. Stabile Abwehrkräfte kommen mit so etwas klar – werden sogar trainiert. Jeder Dachziegel macht mich stärker.«
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»Sie missgönnen den Ästen die Freiheit! Grenzen öffnen wollen, aber Bäume einsperren, oder wie?«
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»Orkan hin, Orkan her, ihr seht vor lauter Bäumen die Wahrheit nicht: Der Sturm kommt aus dem Westen, wo die Offshore-Windparks installiert wurden, die mit Windows von Bill Gates gesteuert werden (über die CLOUD!!1!). Sie haben sie umprogrammiert – zu Ventilatoren. Es beginnt jetzt. Wacht auf! #WindofChange – die Scorpions aus Hannover aka SchröderBuddies.«
Ironie aus. Womöglich ist es gar nicht so weit hergeholt, dass der eine oder die andere wirklich in solche Richtungen querdenkt. Eine gewisse »Nonchalance gegenüber Naturgefahren« (Jörg Kachelmann über die Deutschen und den Sturm – das ganze Interview hier) trifft auf eine Skrupellosigkeit, die sich unter anderem darin äußert, dass die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger zuletzt massiv zugenommen hat, wie meine Kollegen Jörg Diehl, Matthias Gebauer und Wolf Wiedmann-Schmidt recherchiert haben. Radikale Impfgegner bedrohen Bundestagsabgeordnete von Union und SPD, vor dem Haus eines CDU-Mannes verstreuten sie Flugblätter. Eine SPD-Abgeordnete erhielt Todesdrohungen, weil sie die Impfpflicht befürwortet. Die Kollegen berichten: »Mehrfach marschierten Coronaprotestler vor Wohnhäusern von Politikern auf oder drohten ihnen in sozialen Netzwerken wie Telegram – bis hin zum Mordaufruf.« Ich mag mir nicht vorstellen, wie es in solchen Chatgruppen zugeht.
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Lesen Sie hier mehr: Radikale Impfgegner bedrohen Bundestagsabgeordnete von Union und SPD
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Und hier finden Sie das Interview, das mein Kollege Hannes Schrader mit Jörg Kachelmann geführt hat
2. München-Moment oder Kuba-Moment?
In München hat die Sicherheitskonferenz begonnen. Im Mittelpunkt steht die Krise in Osteuropa. Zum Auftakt hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze als »absolut inakzeptable« Drohung »gegenüber uns allen« verurteilt. Sie forderte Russland zu einem umgehenden Abzug seiner Truppen von den Grenzen der Ukraine auf. Erste Signale dahingehend seien ein »Hoffnungsschimmer«, nun seien aber auch Taten nötig.
Russischer Soldat in Kampfmontur
Foto: Russian Defense Ministry Press Service / AP
»Schon jetzt hat der Konflikt globale Signalwirkung«, kommentiert mein Kollege Clemens Höges. »Es geht um die Frage, wie Demokratien jenen Autokraten antworten, die Grenzen verschieben wollen.« Was passiert, wenn Peking seine Flotte losschickt, zum Beispiel Richtung Philippinen oder Taiwan, wenn der Konflikt dort sich mal wieder zuspitzt? »Überlässt man den Chinesen ein paar Inseln – oder nicht? Und wie verhalten sich dann Länder wie Deutschland, die China fürs Geschäft brauchen?«, fragt Clemens. »Xi Jinping wird beobachten, ob die Welt gerade einen München-Moment erlebt oder einen Kuba-Moment.« Und mit München meint er nicht die Sicherheitskonferenz, sondern das Appeasement von 1938. (Den ganzen Leitartikel lesen Sie hier.)
Mit dem Konflikt beschäftigen sich natürlich zahlreiche Kolleginnen und Kollegen:
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Walter Mayr reiste ins ukrainische Odessa. Dort musste er feststellen: Das am Vortag gebuchte Hotel Londonska am Meer war ohne Vorwarnung geschlossen und von Sicherheitsleuten abgeriegelt worden. Bereitete man sich auf einen Angriff der Russen vor? In den folgenden Tagen traf er Frauen, die Tarnnetze für die Front knüpfen, Sowjetnostalgiker und einen Historiker, der Hausfrauen für den Kampf ausbildet; mit der Besatzung des Patrouillenbootes »Balaklawa« war er unterwegs im Schwarzen Meer. Er erlebte eine gespaltene Stadt, die sich auf den Krieg vorbereitet – und wo doch eine seltsame Gelassenheit herrscht.
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In der Hauptstadt Kiew beobachteten Melanie Amann und Christian Esch den Bundeskanzler in schwieriger Mission. Olaf Scholz stand neben dem bedrängten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der sich bemühte, die Moral seines Volkes aufrechtzuerhalten, während die Oligarchen bereits per Flugzeug das Land verließen. Am Folgetag in Moskau erlebte Melanie einen ungewöhnlich angriffslustigen Kanzler, der Russlands Präsidenten Wladimir Putin daran erinnerte, dass es die »verdammte Pflicht« der Staats- und Regierungschefs sei, einen Krieg zu verhindern.
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Klaus Wiegrefe recherchierte zur Frage, ob die Nato-Osterweiterung gegen westliche Zusagen nach dem Mauerfall verstoße, was Russland seit Jahrzehnten behauptet. Nun ist ein bemerkenswertes Dokument aufgetaucht – und der neue Aktenfund von 1991 stützt den russischen Vorwurf.
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Alle aktuellen Entwicklungen finden Sie in unserem News-Update.
3. Teurer Wohnen
Wer in einer deutschen Studierenden-, Verzeihung, Universitätsstadt in diesen Tagen ein WG-Zimmer anmietet, zahlt dafür durchschnittlich 414 Euro Warmmiete im Monat – mehr als je zuvor. Vor zwei Jahren kostete das Durchschnittszimmer noch 389 Euro. Das geht aus dem bisher unveröffentlichten »Hochschulstädte Scoring 2021« des Moses Mendelssohn Instituts hervor, über das meine Kollegin Miriam Olbrisch berichtet. Das Institut wertete dazu zwischen Ende Dezember und Anfang Februar mehr als 25.000 Inserate für WG-Zimmer in 97 deutschen Universitäts- und Hochschulstädten aus.
Die regionalen Unterschiede sind gewaltig: Am teuersten wohnen Studierende in München. Hier kostet ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft bei einer Neuvermietung im Schnitt 680 Euro im Monat. Es folgen mit einigem Abstand Frankfurt am Main (550 Euro), Hamburg und Berlin (beide 500 Euro). In Cottbus, der günstigsten Stadt im Ranking, zahlen Studierende durchschnittlich nur 230 Euro für ihre Bleibe, in den sächsischen Städten Freiberg, Mittweida und Chemnitz 256 Euro.
In der Pandemie waren die Wohnkosten für Studierende in den vergangenen zwei Jahren kaum gestiegen, mancherorts gingen sie sogar zurück. »Der Online-Betrieb, der an einigen Hochschulen über fast drei Semester hinweg Alltag war, hatte junge Menschen zeitweise davon abgehalten, sich ein Zimmer am Studienort zu suchen«, schreibt Miriam. »Stattdessen blieb ein Teil der Studienanfängerinnen und -anfänger im heimischen Kinderzimmer.« Was für alle Beteiligten den Studienstart nicht einfacher gemacht haben dürfte.
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Lesen Sie hier mehr: WG-Zimmer sind so teuer wie nie
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Katholische Kirche zahlte 9,4 Millionen Euro an Missbrauchsopfer: Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen entscheidet über Anträge auf Entschädigung für Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche. Nun hat sie ihren Bericht für das Jahr 2021 vorgelegt.
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Sechs afrikanische Länder sollen lizenzfreien mRNA-Impfstoff produzieren: Die WHO will sechs afrikanischen Ländern ermöglichen, eigenen Coronaimpfstoff zu produzieren. Anders als bei Biontech und Moderna soll die Technologie patent- und lizenzfrei sein. Doch das Programm hat einen Haken.
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LKA Niedersachsen warnt vor Betrugsmasche auf Kleinanzeigenportalen: Dienste wie Ebay Kleinanzeigen sind beliebt – auch bei Kriminellen. Das Landeskriminalamt Niedersachsen warnt vor einem aktuellen Trick, der auf Verkäufer abzielt.
Mein Lieblingsvideo heute: Lindner = Porsche, Habeck = Stirnfalte
Foto: DER SPIEGEL
Was wird nun aus Olaf Scholz? Es steht immer noch nicht fest, wie der Name des Kanzlers in Gebärdensprache aussehen wird. Und im Bundestag gibt es noch einige weitere Herausforderungen, wie meine Kollegin Janita Hämäläinen und mein Kollege Marco Kasang in ihrem Videobeitrag zeigen. Klar sind aber:
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Robert Habeck = gekräuselte Stirn
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Christian Lindnder = Porsche
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Karl Lauterbach = Fliege (auch wenn er sie nicht mehr trägt)
Das ganze Video sehen Sie hier: Wie heißt eigentlich der mit dem Haarkranz?
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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So trickst Tesla seine Kunden aus: Der Elektropionier Tesla boomt trotz Halbleiterkrise. Chatprotokolle zeigen jedoch, dass das Unternehmen von Elon Musk Bauteile einfach wegließ – und die Autokäufer offenbar nicht darüber informierte.
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Hundertprozentige Sicherheit? Gibt es nicht, »sonst müssten alle in Einzelhaft«: Impfpflicht ja – nein? Ab 18 oder doch erst ab 50 Jahren? FDP-Politiker Marco Buschmann will eine neue Phase im Umgang mit Corona – und die größte Reform des Familienrechts seit Jahrzehnten anstoßen.
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Zum offenen Vollzug lieber nach Berlin: Sie dealten in großem Stil mit Drogen und mussten hinter Gitter. Zwei Häftlinge verlegten daraufhin ihren Wohnsitz von Hamburg in die Hauptstadt – und kamen prompt in den offenen Vollzug. Offenbar kein Einzelfall.
Was heute weniger wichtig ist
Da gärt was: Brad Pitt, 58, und Angelina Jolie, 46, streiten um ein Weingut, wie unter anderem die BBC berichtet. Der Schauspieler hat demnach seine Ex-Frau verklagt, weil sie ihren Anteil am Château Miraval verkauft haben soll – ohne sein Einverständnis. Der Sender beruft sich auf eine Klage, die bei einem Gericht in Los Angeles eingereicht wurde. In dem Dokument heißt es demnach, die Anlage sei zu »Pitts Passion« geworden.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Der Wetterdienst gab flächendeckende Unterwetterwarnungen für den Norden sowie die Mitte und den Osten Deutschland heraus.«
Foto: Chappatte
Und am Wochenende?
Könnten Sie einer Empfehlung meines Kollegen Oliver Kaever folgen und die Serie »Severance« anfangen zu gucken (bei Apple TV+), in der es um die Frage geht: Wo verläuft die Grenze zwischen Privatleben und Job? Eine eindeutig nicht repräsentative Umfrage in einem Hamburger Homeoffice ergab: Sie wird immer durchlässiger.
Konferenz-Burnout? In »Severance« warten größere Herausforderungen auf die Lohnempfänger
Foto:
Apple TV+
Zu den Machern von »Severance« gehört Ben Stiller. Seine Serie erzählt von einem Mann, der in einem Job arbeitet, der nirgendwo hinführt, in einer Firma, die ihren Angestellten Chips in die Köpfe einpflanzt, um sie zu effizienten Mitarbeitern zu machen: Der Chip spaltet die Persönlichkeit in einen Arbeits- und einen Privatmensch, ohne dass beide Ichs voneinander wissen. Oliver hat »Severance« findet: »Was bei ›Stromberg‹ lustig war, wird hier zum Albtraum. Langsam, aber unerbittlich schält sich aus dem Geschehen sowohl ein mitreißendes Drama als auch ein atemloser Thriller heraus.« (Lesen Sie hier die ganze Rezension.)
Wenn Sie schon nicht abschalten können, jetzt wenigstens umschalten. Ihnen ein schönes Wochenende, herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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