Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Ricarda*, Ende 20, träumte im Studium davon, international zu arbeiten – und schaffte den Einstieg über ein Praktikumsprogramm.
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»In meinem Heimatdorf, südlich von Berlin, gibt es einen Radweg, der mit EU-Mitteln gebaut wurde – aber das ist auch das Einzige, was man dort mit der EU assoziiert. Wenn mir jemand früher gesagt hätte, dass ich mal für die Europäische Kommission arbeiten würde, hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt.
AdvertisementInzwischen bin ich seit knapp zwei Jahren bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz Efsa, im italienischen Parma angestellt. Die Efsa berät das EU-Parlament und die Kommission etwa zu Zusatzstoffen, Pestiziden und Tierhaltung und führt zu diesem Zweck Studien durch. Als Projektmanagerin prüfe ich unter anderem Anträge für solche Studien, kommuniziere mit denjenigen, die Anträge stellen, zum Beispiel Ministerien, und sorge dafür, dass alle nötigen Dokumente vorhanden sind.
Traum vom internationalen Arbeiten
Schon nach dem Abitur wollte ich weg, nicht nur aus dem Dorf, sondern aus Deutschland. Also ging ich in die Schweiz, um European Studies mit einem Fokus auf Ost- und Zentraleuropa zu studieren. Zunächst träumte ich vom diplomatischen Dienst oder der Uno. Für den Master zog ich nach Maastricht. Dort redeten dann auf einmal alle von der EU, viele meiner Kommiliton:innen wollten in Brüssel Karriere machen. Wir hatten auch einen Professor, der für die Europäische Kommission arbeitete. Dadurch kam ich schließlich auf die Idee, mich für das Blue-Book-Traineeship zu bewerben.
Wer dort genommen wird, landet auf einer Liste – dem sogenannten Blue Book – und hat gute Chancen, für ein fünfmonatiges Praktikum bei der Kommission ausgewählt zu werden. Als ich mich das erste Mal bewarb, wollte ich es einfach probieren und mir das Verfahren anschauen. Das hat nicht geklappt. Beim zweiten Versuch ein Jahr später hatte ich bereits bei einer NGO und einer Beratungsfirma gearbeitet und dadurch relevante Berufserfahrung vorzuweisen.
Auf dem Papier müssen Bewerber:innen lediglich belegen, dass sie einen Bachelorabschluss oder zumindest drei Jahre studiert haben, dazu sehr gute Sprachkenntnisse in Englisch und einer weiteren EU-Sprache. Unter Umständen kann es aber nicht reichen, etwa nur Englisch und Deutsch zu können. Ich spreche zusätzlich Russisch, Tschechisch, Französisch und etwas Spanisch. Außerdem ist es von Vorteil, soziales Engagement und Arbeitserfahrung vorweisen zu können. Es bewerben sich auch nicht nur Bachelor-Absolvent:innen, sondern viele Höherqualifizierte und selbst Doktorand:innen. Die Anzahl der Bewerbungen variiert von Jahr zu Jahr. Als ich es zum zweiten Mal versuchte, kamen auf 40 Plätze für Deutsche rund 800 Bewerber:innen.
Um hervorzustechen, muss man in einem Motivationsschreiben sehr gut argumentieren, warum man für ein Praktikum geeignet ist. Sicher weiß ich es natürlich nicht, aber ich glaube, ich konnte damit punkten, dass ich bereits in der Entwicklungszusammenarbeit gearbeitet hatte – und gut begründet habe, dass ich diese Erfahrungen im Generaldirektorat für Internationale Entwicklung und Kooperation einbringen könnte. Am Ende jedenfalls bekam ich dort einen Platz.
Einstieg in den EU-Kosmos
So begann meine Karriere in der EU. Ich verbrachte fünf Monate im Entwicklungsdirektorat und war damit quasi ›drin‹ im EU-Kosmos. Kurz nach Ende meines Praktikums erfuhr ich durch Zufall von einer vorübergehenden Stelle im Generaldirektorat für Sozialpolitik. Anschließend bewarb ich mich bei der Efsa und wurde dort genommen. Im Januar 2020 zog ich nach Parma, obwohl ich kein Italienisch spreche. Manchmal muss man ein bisschen flexibel sein.
Bezahlt wird bei uns nach Berufserfahrung und Einsatzort; außerdem spielt eine Rolle, ob man Familie hat und die in einem anderen Land besuchen muss. Ich habe keine Kinder und die Lebenshaltungskosten in Italien sind etwas niedriger. Als Berufseinsteigerin in meinem Bereich verdiene ich brutto etwa 3000 Euro monatlich.
Wer bei der EU arbeiten will, muss offen und tolerant gegenüber den Kulturen und Gepflogenheiten anderer Länder sein. Bei der Efsa habe ich mit Kolleg:innen aus allen 27 Mitgliedsländern zu tun. Wir Deutschen haben den Ruf, effizient zu sein. Aber in anderen Ländern wird oft anders gearbeitet. Die Italiener:innen trinken vielleicht erst mal einen Kaffee, anstatt gleich mit der Arbeit zu beginnen, aber die schaffen ihre Aufgaben ja genauso. Ich finde, man kann voneinander viel lernen.
Als internationale Organisation gilt ein Zusammenschluss von mindestens zwei Staaten, der eigene Organe und Aufgaben hat. Die Europäische Union gehört dazu, ebenso die Vereinten Nationen (Uno). Es gibt jedoch eine Vielzahl weiterer.
Gerade bei den großen Organisationen sind Stellen sehr begehrt; die Konkurrenz kommt nicht nur aus Deutschland, sondern aus der ganzen Welt.
In der Regel benötigen Bewerber:innen ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Außerdem sollten sie Auslandserfahrung mitbringen, im Idealfall auch schon Erfahrung bei einer internationalen Organisation.
Neben der fachlichen Qualifikation sind Fremdsprachenkenntnisse immer eine Voraussetzung für die Arbeit bei internationalen Organisationen. Englisch wird erwartet, meistens jedoch mindestens eine andere Sprache auf professionellem Niveau.
Ein Praktikum bei einer internationalen Organisation kann eine Möglichkeit sein, Erfahrung zu sammeln. Solche Praktika dauern meist drei bis sechs Monate und sind häufig nicht vergütet. Es gibt Möglichkeiten zur Förderung, etwa das Carlo-Schmid-Programm der Studienstiftung des deutschen Volkes. Einige Organisationen haben standardisierte Programme für Studierende und Absolvent:innen, das Blue-Book-Traineeship ist ein Beispiel.
Für Berufseinsteiger:innen gibt es ebenfalls eigene Bewerbungsverfahren.
Absolvent:innen aller Fachrichtungen können bei der Europäischen Union an den »Auswahlwettbewerben für Generalisten« teilnehmen, auch »Concours« genannt. Dieses Bewerbungsverfahren hat drei Stufen: einen Vorauswahltest, eine sogenannte Postkorb- oder Entscheidungsübung und ein Assessment-Center. Das Verfahren gilt als sehr anspruchsvoll, eine ausgiebige Vorbereitung ist ratsam.
Auch bei den Vereinten Nationen gibt es ein allgemeines Programm für Berufseinsteiger:innen, das Young Professionals Programme für Absolvent:innen bis 32 Jahre. Manche Uno-Organisationen haben zudem eigene Auswahlprogramme, wie die New and Emerging Talent Initiative des Kinderhilfswerks Unicef oder die Fellowships Programme der Unesco.
Sowohl für Praktika als auch für Einstiegsjobs bietet der Stellenpool des Auswärtigen Amtes eine Übersicht. Dort kann man sich ein Profil anlegen; das System sucht dann automatisch nach Übereinstimmungen.
Die Bürokratie in der Europäischen Kommission kann manchmal eine Herausforderung sein. Es laufen immer wahnsinnig viele Prozesse auf einmal, das macht den Apparat zuweilen sehr langsam. Was mich antreibt: an unsere Mission und an den Impact zu denken, den unsere Arbeit hat. Gemeinsam mit meinen Kolleg:innen trage ich dazu bei, dass Lebensmittel in der EU sicherer und Nutztiere besser behandelt werden.
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Ich glaube, für meine Familie ist bis heute nicht so richtig verständlich, was ich beruflich mache. Die Europäische Kommission ist sehr komplex, für Außenstehende ist es schwierig, da durchzusteigen. In den Generationen meiner Eltern und Großeltern war es eher so, dass man den gleichen Job für 30 Jahre gemacht hat. Dass man sich um Praktika und befristete Stellen reißt, das kennen sie so nicht. Aber sie haben miterlebt, wie sehr ich diese Karriere wollte – und deshalb freuen sie sich sehr für mich, dass es klappt.«
* Die Protagonistin möchte anonym bleiben, ihr Name ist der Redaktion bekannt.
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