Blick auf den leeren Plenarsaal: Das Parlament scheint der Aufgabe nicht gewachsen
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Die Abgeordneten, die am Mittwochmittag ihren Antrag zu einer Impfpflicht ab 50 Jahren präsentierten, machten das per Zoom. Klar, die Pandemie. Im Pressegespräch waren über 60 Journalistinnen und Journalisten, alle in einen Raum zu laden wäre dem Geschehen bei Inzidenzen über 1400 wohl nicht angemessen gewesen. »Die Pandemie ist noch nicht vorbei«, so begann der Initiator Andrew Ullmann (FDP) dann auch seine Einführung.
Ein Allgemeinplatz. Und doch wirkt es manchmal, als sei die Pandemie bald überstanden. Wenige Wochen noch, dann kommt der Frühling. Die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt leicht, die Omikron-Verläufe sind vor allem bei Geimpften milder. Bund und Länder haben Öffnungsschritte zum 20. März beschlossen. Das Wort »Freedom Day« macht die Runde, wieder einmal.
Bittere Einsichten
In diese Tage der leisen Hoffnung nun fällt die Debatte über die Impfpflicht. Ein schlechter Zeitpunkt. Dabei hätte die Impfpflicht eine gute Sache sein können. Hätte Olaf Scholz es geschafft, die Ampelkoalition hinter einem eigenen Antrag zu vereinen. Oder wenn das Parlament es geschafft hätte, wirklich fraktionsübergreifend zu beraten. Sie hätte ein einendes Moment sein können, in dieser Krise, in der so vieles spaltend wirkt.
AdvertisementHätte, hätte, Infektionskette.
Denn nichts davon ist geschehen. Das gegenwärtige Durcheinander schadet dem Ansehen des Parlaments. Es schadet dem Ansehen der Regierung. Es schadet der Pandemie-Bekämpfung – und es bestärkt diejenigen in ihrer Ansicht, die das Vertrauen in die Politik verloren haben. Schlimmer noch: Es könnte jene befeuern, die gegen den Rechtsstaat und die Demokratie hetzen.
Es wirkt, als könnten alle Pläne zu einer Impfpflicht scheitern. Denn es zeichnet sich für keinen der Vorschläge eine nötige Mehrheit ab. Die Regierung hatte in ihrem Zwist über die allgemeine Impfpflicht die Führung in dieser Frage ans Parlament delegiert. Das wiederum scheint dieser Aufgabe nicht gewachsen.
Eine bittere Einsicht.
In der Vorstellung des Antrags zur Impfpflicht ab 50 Jahren sagte die Mitinitiatorin und Grünenpolitikerin Kordula Schulz-Asche, die »Vielfalt der Information« hätte zu einer Verunsicherung der Bevölkerung geführt.
Ach was!
Ein Blick auf das Durcheinander der vergangenen Tage:
Weil die Anträge nicht rechtzeitig vorlagen, musste die erste Lesung der Gesetzentwürfe, die immerhin etwas Struktur in die Debatte hätte bringen können, auf Mitte März verschoben werden. Nun wird der Auftakt ausgerechnet in jene Zeit fallen, in der wohl die schärferen Coronamaßnahmen enden. Die 2G-Regel fällt bereits jetzt allerorten und damit auch ein Anreiz für Ungeimpfte, sich doch noch schützen zu lassen. Und gleichzeitig soll eine Art Impfpflicht diskutiert werden?
Das wirkt absurd und lässt sich nur nachvollziehen, wenn man sich eingehend mit den Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate beschäftigt hat. Dafür aber hat nicht jede und jeder die Zeit – oder die Kraft.
Klare Kommunikation sieht anders aus.
Union ist in ihrer Oppositionsrolle angekommen
Als wäre die Pandemiepolitik der Ampel nicht schon wirr genug, hat sich die Union nun vollends ihrer Oppositionsrolle verschrieben. Sie hat sich dem Verfahren der Fraktionsoffenheit nicht untergeordnet, sondern einen eigenen Antrag zur Impfpflicht vorgelegt.
Dieser sieht, ähnlich dem Antrag um Ullmann, ein Stufenmodell vor, und zusätzlich die Einführung eines Impfregisters. Das klingt gut, aber nimmt dem Ullmann-Gesetzentwurf möglicherweise die nötigen Stimmen. Ullmann sagte bei der Vorstellung seiner Initiative, er bemerke, dass in der Union »sehr viel Druck« herrsche, dem eigenen Antrag zuzustimmen.
Vor wenigen Tagen hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dann auch noch angekündigt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht in Gänze umsetzen zu wollen. Inzwischen ist er zurückgerudert.
Parlament und Regierung haben den Moment verpasst, eine Impfpflicht zu einem Zeitpunkt einzuführen, an dem sie für die Bevölkerung nachvollziehbar gewesen wäre. Das Chaos hat offenbart: Bei strittigen Fragen lässt sich Führung schwer delegieren. Und es zeigt, wie fragil das Ampelbündnis sein kann, wenn es um wirklich heikle Fragen geht.
Das Vertrauen in Politik ist in den vergangenen Tagen eher geschrumpft als gewachsen.
