Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Scholz in Moskau: Doch noch eine Chance für den Frieden?
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Lauterbach zu Omikron: Ab jetzt wird alles besser?
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Wohnungsnot in Städten: Wird die City kinderfrei?
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1. Friedensbotschafter Scholz
Gibt es an der russisch-ukrainischen Grenze doch noch eine Chance für den Frieden? Nachdem sich die Lage in den letzten Tagen zuspitzte, kamen heute einige Entspannungssignale aus Russland. Putins Verteidigungsministerium verkündete, Einheiten würden sich von der Grenze zurückziehen. Sie hätten ihre »Aufgaben erfüllt« und würden nun zurück in ihre Heimatgarnisonen geschickt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht darin einen Grund zu vorsichtigem Optimismus. »Es gibt Anzeichen aus Moskau, dass die Diplomatie fortgesetzt werden soll«, sagte er heute in Brüssel. Unklar ist allerdings, um wie viele Einheiten es geht.
Vielleicht konnte Bundeskanzler Olaf Scholz etwas zur Deeskalation beitragen. Ab heute Mittag saß er im Kreml am berühmten Sechs-Meter-Tisch dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenüber. Mit größtmöglichem Abstand, denn Scholz hatte sich vor dem Treffen geweigert, sich von russischer Seite auf Corona testen zu lassen.
Den angekündigten Teilrückzug von russischen Truppen von der Grenze zur Ukraine bezeichnete Scholz anschließend als »gutes Zeichen«. Sicherheitsfragen in Europa könnten nur mit und nicht gegen Moskau geklärt werden. Die diplomatischen Möglichkeiten seien »bei Weitem nicht ausgeschöpft«. Er weigere sich, die gegenwärtige Lage als aussichtslos zu bezeichnen. »Für meine Generation ist Krieg in Europa undenkbar geworden.« Die Politik müsse dafür sorgen, »dass das so bleibt«.
Putin sagte, er sei bereit, den Weg der Verhandlungen zu gehen. »Wir wollen keinen Krieg in Europa.«
Kann man ihm trauen? Ich fürchte, es ist zu früh, um sich zu freuen. Aber immerhin war heute wohl ein Tag, an dem es auch mal einen Hoffnungsschimmer gab.
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Lesen Sie hier mehr: »Wir haben kein Thema ausgelassen«
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Ankündigung des Verteidigungsministeriums: Russland verkündet Abzug erster Einheiten von ukrainischer Grenze
2. Karl Lauterbach, der Entwarner
Wer bei Google die Wortkombination »Karl Lauterbach warnt« in die Suchzeile eingibt, hat mehr Treffer als mit »Tim Mälzer kocht«, »Robert Lewandowski trifft« oder »Papst Benedikt segnet«. Umso überraschender, dass der Professor Schreck der deutschen Coronapolitik heute mit einer Entwarnung in die Schlagzeilen drängt: Lauterbach hält den Höhepunkt der Omikron-Welle für überschritten. Sogar »maßvolle Lockerungen« seien nun möglich, so der Minister in der »Bild«-Zeitung.
Vielleicht will sich Lauterbach aber auch nur nicht einem fahrenden Zug entgegenstellen. Mecklenburg-Vorpommern hat heute angekündigt, dass ab 7. März die Schülerinnen und Schüler im Klassenraum keine Masken mehr tragen müssen. Hamburg will wohl schon zum Wochenende die Corona-Sperrstunde in der Gastronomie aufheben.
Über weitergehende Schritte wollen morgen die Bundesländer mit Kanzler Olaf Scholz beraten. Florian Gathmann, Severin Weiland, Milena Hassenkamp und Christian Teevs aus unserem Hauptstadtbüro haben recherchiert, dass es bereits einen Stufenplan gibt. Bis zum kalendarischen Frühjahrsbeginn am 20. März sollen bis auf Maskenpflicht und Abstandsgebot »alle tiefergehenden Schutzmaßnahmen« schrittweise entfallen. Freedom Day mit Krokussen!
Eine allgemeine Impfpflicht hingegen rückt offenbar im Zeitplan nach hinten. Sie steht, anders als von Lauterbach gewünscht, in dieser Woche nicht auf der Tagesordnung im Bundestag. Die fraktionsübergreifenden Anträge für eine Impfpflicht ab 18 beziehungsweise ab 50 Jahren sind nach SPIEGEL-Informationen noch nicht fertig. Nun könnte die Debatte auf März verschoben werden
Wird es dann noch genug Befürworter einer Impfpflicht geben, wenn Deutschland gleichzeitig seine Freiheit feiert? Lauterbach scheint sich darüber Sorgen zu machen. In der Talkshow »Anne Will« warf er einer Parlamentariergruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann vor, sie »ziere« sich, ihren Antrag einzubringen. Von seiner Seite aus sei alles vorbereitet.
Man könnte sich allerdings auch fragen, warum Lauterbach so viel Druck macht. Für die aktuelle Omikron-Welle kommt die Impfpflicht zu spät. Und bis zur nächsten möglichen Welle, die Lauterbach für den kommenden Herbst erwartet, reicht die Zeit auch im März noch aus.
Ich glaube, es nutzt der Debatte über die Impfpflicht, wenn sich die Politik die Zeit nimmt, die eine solch weitreichende Entscheidung verdient.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie es jetzt mit Lockerungen und Impfpflicht weitergeht
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Corona-News: Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick
3. Familien, raus aufs Land
Gehören Sie zu den Menschen, die gerade auf Wohnungssuche sind? Dann wissen Sie natürlich längst, wo das Problem liegt: Allzu viele andere Menschen suchen ebenfalls. Vor allem für junge Familien stellt die Wohnungssuche eine kaum lösbare Aufgabe dar. Das ergab eine neue Studie, die der Branchenverband Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA) in Auftrag gegeben hat und über die mein Kollege Henning Jauernig heute berichtet: »In Deutschlands Großstädten wird es für Familien eng.« Die Autoren der Studie widerlegten die oft genannte These, wonach in Großstädten vor allem kleine Wohnungen knapp seien.
Hier einige Fakten zur Entwicklung der letzten zehn Jahre: Laut Gutachten ist die Zahl größerer Haushalte mit drei und mehr Personen um 18 Prozent gestiegen. Allein in Berlin kamen 110.000 solcher Haushalte hinzu. Wohingegen die Zahl von Single- und Zwei-Personen-Haushalten vielerorts konstant blieb oder sogar stagnierte.
Um auf diese Entwicklung zu reagieren, müssten also vor allem größere Wohnungen gebaut werden. Dummerweise passiert das Gegenteil: Der Neubauanteil der Wohnungen mit vier und mehr Zimmern hat sich seit den Nullerjahren mehr als halbiert. Das erklärt auch, warum die Mieten für größere Wohnung überdurchschnittlich stark anstiegen. Das Beispiel aus Berlin: Hier kosten Wohnungen mit 120 bis 140 Quadratmeter Wohnfläche auf den Quadratmeter gerechnet fast 40 Prozent mehr als eine Wohnung mit 60 bis 70 Quadratmetern. Das Fazit der Gutachter lautet: »Es wurde in den letzten Jahren zunehmend an den Bedürfnissen der Familien vorbeigebaut.«
Wird sich die Lage in Zukunft etwas entspannen? Womöglich ja – weil einige Familien aufgeben. Viele wanderten bereits ins Umland der Städte ab, so die Studie. Die Folge wären weitgehend familien- und kinderfreie Innenstädte: eine gruselige Vorstellung.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: In Deutschlands Großstädten wird es für Familien eng
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Unionsfraktion wählt Merz zum neuen Vorsitzenden: Friedrich Merz ist dort, wo er vor 20 Jahren schon einmal stand: an der Spitze der Unionsfraktion im Bundestag. 162 von 186 Abgeordneten stimmten für ihn als neuen Vorsitzenden.
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Schwesig macht Pause wegen Operation: Manuela Schwesig wird wegen ihrer Krebserkrankung erneut operiert. »Niemand muss sich Sorgen machen«, teilte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern jedoch mit.
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Neuer Prozess gegen Nawalny gestartet: Alexej Nawalny sitzt seit mehr als einem Jahr in Haft. Im Straflager Pokrow hat nun ein neues Verfahren gegen den Oppositionellen begonnen. Wegen angeblicher Veruntreuung und Beleidigung drohen ihm 15 Jahre Haft.
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Prinz Andrew erzielt Einigung mit Klägerin Giuffre: Der britische Prinz Andrew außergerichtlich mit Virginia Giuffre geeinigt. Die US-Amerikanerin hatte ihm vorgeworfen, sie als Minderjährige sexuell missbraucht zu haben.
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Deutschland mit erstem Dreifachsieg der olympischen Bobgeschichte: Im fremden Bob zum Olympiasieg: Francesco Friedrich hat seine dritte Goldmedaille gewonnen. Im Zweierbob gab es eine deutsche Sensation, Johannes Lochner holte Silber, Christoph Hafer sicherte sich Bronze.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Die Gold-Heide
Heide Ecker-Rosendahl war ein Superstar der Olympischen Spiele 1972 in München. Im Weitsprung holte sie Gold, ebenso mit der 4-mal-100-Meter-Staffel. Im Fünfkampf gewann sie die Silbermedaille. Doch während man heutzutage mit solch einer Leistung Millionen verdienen könnte, ging es damals bescheiden zu, wie die Ex-Athletin jetzt meinem Kollegen Uwe Ritzer im Interview erzählt hat: »Ein Bügeleisen, einen Eierkocher, ein paar andere Elektrogeräte, ach ja, und einen Metzgerei-Gutschein. Das waren die Prämien für meine Münchner Medaillen. Wir waren alle Amateure, darüber hat der damalige IOC-Chef rigoros gewacht.«
Beneidet sie die Olympioniken von heute? »Nein«, sagt Ecker-Rosendahl: »Der Druck auf die Athletinnen und Athleten ist heute viel größer. Für die geht es ständig um die Existenz. Man spürt es, wenn sie in Interviews selbst mittelmäßige Leistungen schönreden müssen, um Anerkennung herbeizureden, damit nur ja kein Sponsor von der Fahne geht. Ich hatte damals meinen Beruf und im Sport alle Freiheiten und konnte auch mal sagen: Das mache ich nicht.«
Ihre Karriere als Leistungssportlerin hat Heide Ecker-Rosendahl kurz nach den Olympischen Spielen beendet. Doch ihre Popularität blieb, auch weil sie mit Nickelbrille, Kurzhaarfrisur, Hosenanzügen und – vor allem – selbstbewussten Auftritten für ein modernes Frauenbild stand.
Gestern ist sie 75 Jahre geworden. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Ein Bügeleisen, ein Eierkocher, ein Metzgerei-Gutschein – das waren meine Medaillenprämien«
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Banken-Darling Daniel Wruck unter Geldwäscheverdacht: Der obskure Lobbyist Daniel Wruck ist eng mit Frankfurts Finanzelite. Jetzt kommt heraus: Gegen ihn liegen haufenweise Geldwäsche-Verdachtsfälle vor – auch bei Banken, die mit ihm Deals gemacht haben.
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Die Schwachstellen der russischen Festung: Der Kreml versucht seit Jahren, die russische Wirtschaft unabhängiger vom Westen zu machen. Heute hortet der Staat gewaltige Finanzreserven. Doch gezielte Sanktionen könnten ihm zu schaffen machen.
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Wie der Mittelstand das mobile Arbeiten entdeckt: Von überall arbeiten, das wollen auch Beschäftigte fernab der Großunternehmen. Neue Zahlen zeigen, wie groß der Wunsch ist – und wie es klappen kann.
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Die deutsche Liebe zum Eiskanal: Gold, Gold, Gold: Im Rodeln, Skeleton und Bobsport sind die Deutschen so dominant in Peking wie lange nicht. Die Überlegenheit hat Ursachen, die bis in den Kalten Krieg zurückreichen – und sie ist gefährdet.
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Der dritte Mann: Nur zwei Stimmen fehlten Rainer Barzel, als er 1972 Willy Brandt stürzen und selbst Kanzler werden wollte. Der Unionsfraktionschef raunte von drei Abtrünnigen – und soll einen höchst prominenten Namen genannt haben.
Was heute weniger wichtig ist
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Oh weh, Mandy: Barry Manilow, 78, steht auf der Playlist neuseeländischer Sicherheitskräfte, wenn es darum geht, Schauermusik gegen Demonstranten einzusetzen. Vor dem Parlamentsgebäude in Wellington campieren seit Tagen mehrere Tausend Impfgegner. Am Wochenende kam der Parlamentspräsident dann auf die Idee, Manilow als eine Art Schallwaffe einzusetzen. Er ließ »Mandy« in Dauerschleife spielen, ebenso »Macarena« von Los del Rio. Mein Kollege Oliver Kaever aus dem Kulturressort kommentiert: »Fürwahr: Viel schlimmer geht es nicht.« Oder etwa doch? Hier können Sie abstimmen, welcher Song Schmerzen verursacht.
Oder haben Sie einen ganz anderen Vorschlag? Was ist Ihrer Ansicht nach der schlimmste Song aller Zeiten? E-Mail an alexander.neubacher@spiegel.de
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Russlands Eiskunstläuferin Kamila Walijewa surfte trotz eines Dopingtests im Kurzprogramm an den Start gehen.«
Cartoon des Tages: Impfpflicht
Foto:
Stuttmann
Und heute Abend?
Ein Mann Mitte 50, in Trauer über seine an Krebs gestorbene Frau, frustriert von seinem Job, genervt von seinem pflegebedürftigen Vater, zynisch, einsam, grob: Wer glaubt, aus einer solchen Figur könne man keine sehr lustige und lebenskluge Fernsehserie machen, hat »After Life« mit Ricky Gervais nicht gesehen. »Der britische Comedian, Schauspieler und Regisseur ist ein Meister darin, aus deprimierenden Umständen etwas Hochkomisches zu schaffen«, schrieb mein Kollege Stefan Kuzmany über die erste Staffel: »Ricky Gervais geht dorthin, wo es wehtut. Und dann geht er noch einen Schritt weiter.«
Seit ein paar Tagen läuft die dritte und wohl letzte Staffel von »After Life« auf Netflix. Ich habe noch nicht alle sechs Folgen gesehen, aber schon wieder alle Gefühlsregungen durchlebt wie bei den vorherigen Staffeln: Lachtränen, Fassungslosigkeit, kaum aushaltbare Fremdscham, wenn Gervais unter Missachtung gesellschaftlicher Konventionen seine Übellaunigkeit auslebt. Aber auch ein großes Gefühl der Rührung, weil »After Life« eben keine Schenkelklopferkomödie ist, sondern eine Geschichte darüber, was neben Humor im Leben zählt: Liebe, Freundschaft, Mitmenschlichkeit. Ich halte »After Life« für eine der besten Serien der letzten Jahre.
Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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