Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Reise von Kanzler Olaf Scholz nach Kiew und Moskau. Um die ungeahnte Leidenschaft des Bundespräsidenten. Und den Ruf nach Lockerungen.
Heute geht es um die Reise von Kanzler Olaf Scholz nach Kiew und Moskau. Um die ungeahnte Leidenschaft des Bundespräsidenten. Und den Ruf nach Lockerungen.
Über den Wert von Sanktionen
Auf dem bisherigen Höhepunkt der russischen Kriegsdrohung gegen die Ukraine bricht Olaf »Alles ist auf dem Tisch« Scholz zu einer heiklen Mission auf. Der Bundeskanzler wird heute in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj treffen, am Dienstag dann in Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Nachdem amerikanische Geheimdienste offenbar von einem russischen Angriff auf die Ukraine noch in dieser Woche ausgehen, könnte dem deutschen Kanzler eine entscheidende Rolle zukommen, um genau dies zu verhindern.
AdvertisementRussischer Militärtransport (Ende Januar)
Foto: RUSSIAN DEFENCE MINISTRY PRESS SERVICE / HANDOUT / EPA
Allerdings wird Scholz’ Position, wonach man Putin auf keinen Fall konkret sagen dürfe, welche Sanktionen ihm im Falle eines Einmarsches in die Ukraine drohen, von den westlichen Partnern mit zunehmender Verwunderung zur Kenntnis genommen. Sie führte unter anderem zu der seltsamen Situation, dass Scholz sich während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit US-Präsident Joe Biden in Washington konsequent davor drückte, den Namen der Gaspipeline Nord Stream 2 auch nur in den Mund zu nehmen. Während Biden, der bei der Pipeline genau genommen gar nichts zu sagen hat, das Ende der Pipeline verkündete.
Ich glaube, wer sich im Vorfeld nicht zu sagen traut, zu welchem Opfer er gerade auch in wirtschaftlicher Hinsicht bereit ist, dessen Sanktionsdrohung wird nicht wirklich ernst genommen. Der russische Botschafter in Schweden Viktor Tatarinzew sagte im Interview mit der Zeitung »Aftonbladet« sogar: »Wir scheißen auf ihre ganzen Sanktionen.«
Die Begründung: Sein Land sei ja bereits mit vielen Sanktionen belegt, die »gewissermaßen eine positive Wirkung auf unsere Wirtschaft und Landwirtschaft hatten«, so Tatarinzew. Das habe Russland autarker gemacht. »Wir haben keinen italienischen oder Schweizer Käse, aber wir haben gelernt, genauso guten russischen Käse auf der Basis italienischer und Schweizer Rezepte zu produzieren.« Neue Sanktionen seien nicht so schlimm, wie der Westen behauptet.
Ich wünsche guten Appetit beim russischem Mozzarella und Pecorino. Glaube aber auch, dass Russland den Verzicht auf Käse-Importe weitaus leichter verkraften kann als den Verzicht auf Gas-Exporte.
Der aufgeputschte Bundespräsident
Im Hinterkopf wird Scholz auf seiner Reise die Worte von Frank-Walter Steinmeier haben. Nach seiner Wiederwahl zum Bundespräsidenten fand Steinmeier überraschend klare Worte, die er direkt an Putin richtete. »Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine! Und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt.« Dass nun ein Krieg in Osteuropa drohe, dafür sei Russland verantwortlich.
Bundespräsident Steinmeier, Ehefrau Büdenbender am Sonntag in Berlin
Foto: Britta Pedersen / dpa
Steinmeier weiter: »Ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie. Russlands Truppenaufmarsch kann man nicht missverstehen. Das ist eine Bedrohung der Ukraine und soll es ja auch sein. Doch die Menschen in der Ukraine haben ein Recht auf ein Leben ohne Angst und Bedrohung, auf Selbstbestimmung und Souveränität. Wer dies zu zerstören versucht, dem werden wir entschlossen antworten.«
In seiner Rede punktete Steinmeier vor allem in Bereichen, die bislang seine Schwachpunkte war. Vielen galt der langjährige Außenminister Steinmeier als chronisch russlandfreundlich und als Putin-Versteher. Fast wie sein früherer Chef Gerhard Schröder – nur ohne Aufsichtsrats
Zugleich umwehte den Miterfinder der Agenda 2010, in deren Zuge Sozialleistungen zum Teil drastisch gekürzt wurde, der Vorwurf der sozialen Kälte. Auch diesem Eindruck versuchte Steinmeier gestern entgegenzutreten. Den Kandidaten der Linken, Sozialmediziner Gerhard Trabert würdigte er für dessen Engagement für die »Ärmsten und Verwundbarsten« in diesem Land, für Obdachlose und Flüchtlinge. Und bot an, gemeinsam mit Trabert dem Thema Obdachlosigkeit »mehr Aufmerksamkeit« zu verschaffen. »Ich würde mich freuen, wenn wir darüber ins Gespräch kämen.«
Nach Steinmeiers gestriger Rede vor der Bundesversammlung hätte mich übrigens die Dopingprobe interessiert. Denn es war eine gute, mitreißende Rede, nicht nur für Steinmeiers Verhältnisse, sondern tatsächlich. Er wirkte wie aufgeputscht, engagiert, kämpferisch. Welche Substanzen gestern auch immer im Spiel waren, sie sollten im Spiel bleiben.
Locker wie die Skandinavier
Nach Dänemark und Schweden lassen nun auch Norwegen und Finnland die meisten Corona-Maßnahmen fallen. Und das trotz steigender Infektionszahlen. Während in Finnland wenigstens ein paar Einschränkungen bleiben, zum Beispiel Nachtclubs vorerst dicht bleiben, ist in Norwegen nun wieder alles möglich. Es gelten von nun an weder Abstandsregeln noch eine Maskenpflicht in überfüllten Räumen.
Schutzmaske (Symbolbild)
Foto:
snapshot-photography/ T.Seeliger/ imago images/Seeliger
»Jetzt können wir wie früher unter die Leute gehen, im Nachtleben, bei Kulturveranstaltungen oder anderen sozialen Gelegenheiten«, sagte Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Store bei einer Pressekonferenz am Wochenende. Die Pandemie stelle für die meisten Menschen keine große Gesundheitsgefahr mehr dar. Die Omikron-Variante verursache mildere Krankheitsverläufe, die Impfungen schützten gut. Am Ende der Pressekonferenz steckte Gahr als Symbol für die Aufhebung der Maskenpflicht seinen Mund-Nasen-Schutz in die Innentasche seines Sakkos.
Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die einen skandinavischen Weg gehen möchten. Vor und während der für Mittwoch anberaumten Ministerpräsidentenkonferenz, werden die Länderchefs im Duell mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach um den Titel des entschlossensten Lockerers kämpfen. Als Favorit geht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ins Rennen – der alte, beziehungsweise neue Schwede.
Verlierer des Tages…
Foto: Alessandra Tarantino / AP
…sind die Vertreter des chinesischen Staatsregimes, die in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gerade die sogenannten Olympischen Winterspiele durchführen.
Gestern wurden sie offenkundig kalt erwischt: Weil es tatsächlich geschneit hat. So richtig aus dem Himmel. Dabei kam es zu ungeplanten Irritationen und Verzögerungen bei den Wettbewerben. Mit echtem Schnee hatte erkennbar niemand gerechnet. Es sollten doch die ersten komplett von Natureinflüssen emanzipierten Spiele werden, ein Festival der Schneekanonen.
Das sonst um totale Kontrolle bedachte Regime will den unangemeldeten Schneefall dem Vernehmen nach aber nicht einfach so hinnehmen. Ein gewisser Petrus soll sich angeblich bereits unter Hausarrest befinden. Weitere Schritte sind in Planung. IOC-Präsident Thomas Bach soll sich allerdings zu einem Treffen mit dem Arrestierten bereit erklärt haben, um zu bezeugen, dass die Lage halb so wild ist.
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Einen heiteren Montag wünsch Ihnen.
Ihr Markus Feldenkirchen