Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Olympia – Eiskalter Krieg in Peking?
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Ukraine – Ist Scholz auf einer Mission Impossible?
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Coronalockerungen im Gespräch – Ende Abstände?
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1. Eiskalter Krieg?
Mit den Olympischen Winterspielen in Peking verhält es sich ein wenig so wie mit vielen aktuellen Debatten – seien es Coronamaßnahmen, Inflation oder die Güte des jüngsten James-Bond-Films: Die Gesellschaft wirkt gespalten. Die einen – wie unser Kolumnist Christian Stöcker – halten die Wettbewerbe in China wegen der Verquickung von Kommunismus und Kommerz für »perverse Spiele«, andere schauen unverdrossen und mit großer Freude die Übertragungen der einzelnen Sportarten an.
Nun führt eine dieser Sportarten auch noch innerhalb der Spiele zu ungewohnt heftigen Kontroversen: der Eiskunstlauf. Die 15-jährige russische Läuferin Kamila Walijewa wurde des Dopings überführt und darf nach einem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes Cas dennoch an den Start, um am Einzelwettbewerb teilzunehmen. Da sie unter 16 Jahre alt ist, steht sie laut Regelwerk unter besonderem Schutz, so die Begründung. Die Russen frohlocken, die Amerikaner schäumen, denn ihre Läuferinnen sind die Zweitbesten im Leistungsniveau – nur eben laut eigenen Angaben ohne chemische Substanzen.
Man wird das Gefühl nicht los, in Peking wird der Kalte Krieg fortgesetzt – nur mit anderen Mitteln: Kufen statt Kalaschnikows. Im Fall Walijewa wird argumentiert, es würde »irreparablen Schaden« anrichten, ließe man sie nicht antreten. Schaut man sich andere Dopingsünder wie den Radsportler Jan Ullrich (Doping durch den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes) oder die Leichtathletin Marion Jones (gedopt mit EPO und THG) an, ist die Vermutung vielleicht nicht von der Hand zu weisen, dass das Leben danach aus der Bahn geraten kann. Ullrich machte immer wieder Schlagzeilen, weil er unter Drogeneinfluss verhaltensauffällig wurde, Jones versuchte eine zweite Karriere als Basketballerin – und scheiterte.
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Lesen Sie hier mehr: Dopingfall Walijewa – Ganz dünnes Eis
2. Scholz auf Mission impossible?
Auch an anderer Stelle scheint der Kalte Krieg wieder bedrohlich heiß zu werden. Seit Monaten lässt Russlands Präsident Wladimir Putin seine Truppen an der ukrainischen Grenze aufmarschieren, hält gemeinsame Manöver mit der belarussischen Armee ab und lässt diplomatische Bemühungen, einen Krieg in Europa zu verhindern, bislang ins Leere laufen. Putins Ziel: Er will von der Nato Sicherheitsgarantien und erreichen, dass die Nato wieder auf den Zustand von 1997 zurückgeführt wird, demnach die Ukraine auch nicht Teil des westlichen Militärbündnisses werden darf.
Es ist ein irrationales Spiel um Nervenstärke, wie beim Mikado: Wer als Erstes zuckt, verliert. Die USA, die ankündigte, sich aus dem Konflikt herauszuhalten, will bereits Erkenntnisse haben, wann die Invasion beginnen wird. Ihre Prognose: am kommenden Mittwoch. Auch wenn bislang noch keine Waffen zum Einsatz kamen, so ist es schon jetzt ein Psychokrieg. Wladimir Putin müsste den Mittwoch einfach vorbeiziehen zu lassen, um die Geheimdienste der USA zu blamieren, ganz nach dem Motto: Seht her, so präzise sind also die Vorhersagen der besten Agenten der Welt.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich heute auf den Weg nach Kiew gemacht. Vor seinem Besuch bekräftigte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, seine Forderung an Deutschland, endlich Waffen in die Ukraine zu liefern, 12.000 Panzerabwehrraketen sollen es diesmal sein. Scholz wiederum bekräftigte vor seinem Abflug nach Kiew die »fortdauernde Solidarität und Unterstützung« der Ukraine, ließ aber offen, ob es bei den zugesagten 5000 Helmen bleibt, die Deutschland an die Ukraine schicken will, oder ob noch ein paar Packungen Heftpflaster obendrauf gelegt werden. In Richtung Russland, wo Scholz sich am Dienstag mit Putin trifft, kündigte der Kanzler erneut an, ein Einmarsch hätte »sehr schwerwiegenden Konsequenzen«. Man weiß nicht, ob die Russen diese Mischung aus verbalem Versuch von Deeskalation und Drohung besonders beeindruckt. Der russische Botschafter in Schweden, Viktor Tatarinzew, zeigte sich in einem Interview mit der Zeitung »Aftonbladet« jedenfalls sehr undiplomatisch: »Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise, aber wir scheißen auf ihre ganzen Sanktionen.«
So ganz kalt scheinen die angedrohten Sanktionen die Russen offenbar nicht zu lassen. Heute veröffentlichte der Kreml ein Video, in dem Putin seinen Außenminister Sergej Lawow an einem Tisch so lang wie die Landebahn des Kremlfliegers Matthias Rust fragte, ob es denn noch Chancen auf Verhandlungen mit der Nato gebe. Lawrow antwortete kühl: »Unsere Möglichkeiten sind bei Weitem noch nicht erschöpft.« Vielleicht ist es wieder nur Taktiererei, um die USA alt aussehen zu lassen, vielleicht ist es aber tatsächlich Schiss vor den Konsequenzen, die ein Einmarsch hätte.
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Lesen Sie hier mehr: Konflikt mit Russland – Warum sich die Ukraine Panzerabwehrwaffen der Bundeswehr wünscht
3. Ende Abstände?
Am kommenden Mittwoch tagt mal wieder die Ministerpräsidentenkonferenz, kurz MPK, formal richtig ist es die Bund-Länder-Runde. Anders als in der Vergangenheit bei diesen Treffen müssen die Politikerinnen und Politiker diesmal nicht über weitere Einschnitte, Maßnahmen und Opfer beraten, die die Bevölkerung bringen müssen, um die Coronapandemie einzudämmen. Diesmal geht es um das Gegenteil: Lockerungen. »Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass die derzeit geltenden Infektionsschutzmaßnahmen nunmehr verantwortungsbewusst und in kontrollierten Schritten zurückgefahren werden sollen«, heißt es in der vorläufigen Beschlussvorlage, die aus dem Kanzleramt an die Länder geschickt wurde. Da das Gesundheitssystem trotz nach wie vor sehr hohen Inzidenzen mit der Situation ganz gut klarzukommen scheint, geht es bei den erwarteten Beschlüssen der Regierung im Kern darum, den Menschen wieder mehr Eigenverantwortung zurückzugeben.
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Mehr als zehn Personen, die geimpft oder genesen sind, sollen wieder zusammenkommen können. Kinder bis 14 Jahre sollen weiterhin ausgenommen werden. Die Einschränkungen des Zugangs zum Einzelhandel sollen ebenfalls gestrichen werden.
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Ab dem 4. März soll für die Gastronomie wieder die 3G-Regelung gelten und somit auch Getesteten der Zugang ermöglicht werden. Für Klubs soll die 2G-plus-Regel angewandt werden, ebenso bei überregionalen Großveranstaltungen.
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Ab dem 20. März könnten dann »alle tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen« fallen. Dann soll es auch keine verpflichtenden Homeoffice-Regelungen mehr geben.
Die Regierung folgt damit den Empfehlungen des Expertenrates, der eine neue Phase der Pandemie eingeläutet sieht, die aber weiterhin »ein hohes Maß an Aufmerksamkeit« erfordere. Daher wird auch an niedrigschwelligen Regelungen wie Maske tragen in Bus und Bahn und Supermarkt festgehalten. Dass dies durchaus sinnvoll ist, kann man gut an Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden beobachten. Dort wurden sämtliche Maßnahmen abgeschafft, die Neuinfektionen binnen sieben Tagen und 100.000 Menschen liegen dort aber teilweise wieder bei über 4.000.
Je weniger Maßnahmen existieren, desto mehr liegt es also wieder in der Verantwortung jedes Einzelnen. Ist es zum Beispiel wirklich eine gute Idee, jetzt schon mit der gesamten Verwandtschaft Geburtstag zu feiern? »Fachleute sagen, dass es uns schwerfällt, solche Risiken richtig einzuschätzen. Oft führt uns sogar unser Bauchgefühl in die Irre«, sagt meine Kollegin Irene Berres aus unserem Gesundheitsteam. »Trotzdem glaube ich, dass man den Menschen zutrauen kann, in Zukunft wieder mehr Verantwortung für sich und ihr Umfeld zu übernehmen. Das Risiko für schwere Erkrankungen bei einer Infektion ist durch Omikron einfach gesunken.«
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Lesen Sie hier mehr: Aufhebung der Coronamaßnahmen – Sind wir bereit für mehr Eigenverantwortung?
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Was heute sonst noch wichtig ist
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Haftbefehl gegen Franco A. erlassen: Spezialkräfte der Polizei nahmen ihn fest: Franco A., der wegen mutmaßlicher Anschlagspläne derzeit vor Gericht steht, muss wieder in U-Haft. Es bestehe Flucht- und Verdunkelungsgefahr.
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SPD-Fraktionschef Mützenich bietet Union Gespräche an: Die SPD sucht einen Weg aus dem Chaos um die allgemeine Impfpflicht. Fraktionschef Mützenich macht der Union ein Angebot – und sieht nun Friedrich Merz am Zug.
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Rohstoff für Glyphosat droht knapp zu werden: Die Produktion des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat ist bei Bayer laut einem Medienbericht beeinträchtigt. Grund ist wohl höhere Gewalt.
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Der Regisseur Ivan Reitman ist tot: Er wurde für Albernheiten auf hohem Niveau gefeiert, machte Bill Murray zum Star und Arnold Schwarzenegger zum Komiker. Jetzt ist der große Komödienregisseur Ivan Reitman im Alter von 75 Jahren gestorben.
Meine Lieblingsgeschichte heute…
Schlange stehen in Freiberg: Ergebnisoffene Recherche
Foto: Sven Döring / DER SPIEGEL
…ist ein Text aus dem aktuellen SPIEGEL. Es ist die Reportage meiner Kollegen Frauke Hunfeld und Sven Döring (Fotos), die in Sachsen der Frage nachgegangen sind, woher bei den vielen Montagsspaziergängern die Wut auf die Regierenden kommt und ob diese Wut irgendwann auch wieder verfliegt.
Lieblingsgeschichte hört sich in diesem Zusammenhang vielleicht verniedlichend an, aber es ist ein wichtiger Text, weil Frauke – ganz wie es journalistische Praxis sein sollte – ergebnisoffen an die Recherche rangegangen ist. Sie porträtierte dabei einen Polizisten der Einsatzkräfte, eine Ärztin, der der ganze Spuk zuwider ist, den Skisprung-Olympiasieger und heutigen Hotelier Jens Weissflog und viele weitere Menschen. All diese kleinen Miniaturen ergeben ein Gesamtbild und die Erkenntnis, dass die Montagsspaziergänger durchaus eine Minderheit sind, aber eine laute.
Vielleicht interessierte mich dieser Text auch deshalb, weil weite Teile in meiner Geburtsstadt Freiberg spielen. Auch wenn Sie nicht in Freiberg geboren sind, sollten Sie diesen Text lesen – oder auch in einer guten Joggingrunde vorlesen lassen. Nach 31 Minuten sind Sie fitter und schlauer.
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Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Was Montagsspaziergänger auf die Straße treibt – Woher kommt die Wut? Und geht sie wieder weg?
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Der Traum vom weißen Gold: Viele Regierungen in Lateinamerika hoffen auf die Erlöse des Leichtmetalls Lithium, aber die Hoffnung auf Reichtum durch Rohstoffe könnte enttäuscht werden – mal wieder.
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Grünstrom-Produzenten sahnen in der Energiekrise ab: Verbraucher fördern den Bau von Ökostromanlagen seit Jahren durch Abschläge auf ihre Stromrechnung. In der aktuellen Krise machen die Anlagenbetreiber das Geschäft ihres Lebens – auf Kosten der Kunden.
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Das will ein schwedischer Investor mit den Schufa-Daten der Deutschen: Ein schwedischer Finanzinvestor buhlt um die Schufa. Er sieht in Deutschlands wichtigster Auskunftei Wachstumspotenzial. Doch im deutschen Bankensektor und bei Aktivisten formiert sich Widerstand gegen die Übernahme.
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Sie wurde gedemütigt und rausgeworfen – jetzt ist sie Olympiasiegerin: Kaillie Humphries startete einst für Kanada. Dann erhob sie Missbrauchsvorwürfe gegen ihren Trainer – und musste das kanadische Team verlassen. Nun fährt sie für die USA und gewinnt Gold bei der Monobob-Premiere.
Was heute weniger wichtig ist
Noch ein Artikel mit Bezug zu meiner eigenen Herkunft: Ich habe nicht nur in Freiberg gelebt, sondern auch viele Jahre im Kreis Göppingen. Dort soll am 15. Februar 1982, zwei Jahre bevor ich dorthin zog, ein Führerschein ausgestellt worden sein, der sich nun als Fälschung entpuppte. Ein 66-jähriger Mann wollte den grauen Lappen in Osnabrück in einen gängigen EU-Führerschein umwandeln lassen – hatte aber nicht mit der Akkuratesse der schwäbischen Behörden gerechnet. Denn als Osnabrück sich in Göppingen nach der Führerscheinnummer erkundigte, stellte sich heraus, dass es diese gar nicht gibt. Gegen den Mann wird nun wegen Urkundenfälschung und Missbrauchs von Ausweispapieren ermittelt.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Etwa bei der Sportstätte Big Air Shougang, einer Sprungschnaze«
Cartoon des Tages: Drohszenario
Foto:
Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Ich verkneife mir jetzt einen Tipp zum Valentinstag. Das kann ich guten Gewissens, denn durch Zufall – und da gebe ich noch etwas Persönliches preis – bin ich genau vor 25 Jahren mit meiner Frau zusammengekommen, wir haben also heute Jahrestag. Damals, 1997, fuhren wir zu einer Theatervorstellung ins Berliner Ensemble mit Corinna Harfouch in einer Solorolle. Wir waren beide Fans von ihr, hatten keine Karten, es war ausverkauft. Wir schlichen uns an den Ordnern vorbei und setzten uns ganz oben im Rang auf die Stufen. Wir fuhren als Praktikanten eines Marktforschungsinstitutes hin und kamen als Paar zurück. Vielleicht gehen Sie heute Abend einfach ins Theater, es muss ja kein Stück mit Corinna Harfouch sein. Und wenn es ausverkauft ist, schleichen Sie sich an den Ordnern vorbei. Lassen Sie sich nicht erwischen. Sie werden danach weitere 25 glückliche Jahre haben, versprochen!
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr
Janko Tietz
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