Solche Worte hört man selten von diesem Bundeskanzler: »It´s absolutely nonsense.« So antwortete Olaf Scholz im Interview mit CNN auf die Frage, ob Deutschland unter seiner zögerlichen Führung nicht mehr ein Verbündeter Russlands sei, als des Westens und der Ukraine.
»Das ist völliger Blödsinn« – so ein scharfer Satz des ewig vorsichtigen Scholz in einem Interview auf Deutsch ist schwer vorstellbar. In ARD und ZDF hätte der Kanzler wohl ausgeführt, dass die Zweifel an der deutschen Bündnistreue für ihn nicht nachvollziehbar seien, und dass sie auch nicht den Tatsachen entsprächen. Aber: »Schönen Dank für Ihre Frage!«
Bei CNN lief nun alles anders, und das sollte nicht einfach unter den Tisch fallen. Der neue Bundeskanzler schien in seinen ersten Amtswochen von der Bildfläche verschwunden zu sein. Jetzt ist er nicht nur wieder aufgetaucht, sondern gibt seine Interviews auch noch in einer Fremdsprache.
AdvertisementScholz bei der Pressekonferenz im Weißen Haus: »We will be united«
Foto: Leigh Vogel / imago images/UPI Photo
Schon vor seinem Abflug in die USA sprach Scholz mit der »Washington Post«, auf Englisch, wie das Blatt betonte. Dann das CNN-Interview, und sogar in der gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus mit US-Präsident Joe Biden wechselte Scholz zwischendurch ganz lässig ins Englische: »And possibly this is a good idea to say to our American friends: We will be united.«
Gut, dieses scholzsche Englisch holpert mitunter, hier ist ein Adverb fehl am Platz, dort fehlt ein Wort oder klappert der Satzbau. Aber dieses sprachliche Coming-out ist trotzdem kind of a big deal. Nicht nur für Scholz, sondern für die deutschen Bundeskanzler insgesamt. Von Scholz-Vorgänger Willy Brandt gibt es knisternde Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Reden in fließendem Englisch. Aber hat Brandt, oder haben sich Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel mal 20 Minuten lang live im amerikanischen Fernsehen grillen lassen, fern vom sicheren Boden nicht nur des Vaterlandes, sondern auch der Muttersprache?
Und dann auch noch mit Fragen wie: »China begeht Genozid an den Uiguren. Hat Deutschland mit seiner eigenen Geschichte des Völkermordes hier nicht eine moralische Pflicht, entschlossen zu handeln?« Für eine Sekunde ist Scholz bei dieser Frage der Schreck ins Gesicht geschrieben, aber dann stürzt er sich tapfer in einen Monolog über das deutsche Lieferkettengesetz.
Strategie der Risikovermeidung
Bei manchen Politikern hätte man sich gewünscht, ihr Englisch nie gehört zu haben, man denke an Günther Oettingers Swabian English. Aber eigentlich sollte es in den 2000er Jahren selbstverständlich sein, dass Spitzenpolitikerinnen und Politiker sich nicht nur flüssig auf Englisch verständigen, sondern auch in der Lage sind, ihre Position gegen bohrende Fragen zu verteidigen. Aber das ist es nun einmal nicht, siehe schon Guido Westerwelle, der 2009 als neu amtierender Außenminister gleich einen englischsprachigen Fragesteller der BBC abblitzen ließ. Noch nicht einmal die Frage wollte Westerwelle sich auf Englisch anhören, dabei hätte er sprachlich mühelos mithalten können.
Es war bei Westerwelle offensichtlich eine Strategie der Risikovermeidung. Auch von Angela Merkel dürfte es aus diesem Grund keine Auftritte wie den von Scholz gegeben haben. Schließlich muss man damit rechnen, dass ein täppischer Auftritt sofort auf Fernsehschirmen und Handy-Displays in Hildesheim, Dresden oder Würzburg landet, und dann geht es rund.
Wir Deutschen sind erbarmungslos im Umgang mit den Sprachfertigkeiten der Regierenden. Wie wurde Außenministerin Annalena Baerbock für ihr fehlerloses, aber in der Aussprache überraschend deutsches Englisch verspottet. Hoho, in London studiert, jaja. Weil sich die meisten Deutschen irgendwie auf Englisch durchschlagen können, scheinen viele zu erwarten, dass eine Ministerin es besonders gut können muss, jedenfalls besser als sie selbst.
Tatsächlich spricht Baerbock Englisch viel flüssiger als Scholz, über dessen heavy German accent interessanterweise kaum jemand spottete. Vermutlich, weil alle noch zu beschäftigt waren mit Häme über den Schlabberpulli, den der Kanzler auf dem Flug in die USA getragen hatte.
Merkel wiederum war sich nicht zu fein, an den Deutschkenntnissen ausländischer Gäste herum zu mäkeln. Als Barack Obama 2013 auf Besuch in Berlin war, stellte ein amerikanischer Journalist in der Pressekonferenz im Kanzleramt eine Frage auf Englisch an Obama, und dann eine in perfektem Deutsch an Merkel. »Jeff«, sagte Obama. »I am very impressed with your German. You sounded great.« Da beugte sich Merkel zu Obama und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Obama grinste: »Chancellor Merkel says you were just ok.«
Ganz ok ist das Deutsch von dem Amerikaner, aber halt nicht »great«, da war die Kanzlerin brutal ehrlich. Wie findet sie wohl das Englisch von Scholz?
Der englische Scholz klingt prägnanter
Für Journalisten, die dem Kanzler von Berufs wegen zuhören müssen, war faszinierend, wie klar und prägnat dieser Englishman Scholz in diesem Gespräch klang. Die Botschaften waren letztlich nicht anders als daheim: ja, große Einigkeit mit den Verbündeten, aber nein, keine Waffenlieferungen, und diese Pipeline hat auch auf Englisch keinen Namen. Aber gerade weil Scholz in dieser Sprache nicht zu Hause ist, sich schlichter ausdrücken muss, klingt er auf Englisch entschlossener und prägnanter.
Etwa zu Gerhard Schröder und seinem neuen Gasprom-Posten: »He is not speaking for the government. He is not working for the government. He is not the government. I am the chancellor now.« Alright, Olaf!
Oder zur Frage, ob der ukrainische Präsident aus Ärger über Nordstream Annalena Baerbock nicht persönlich treffen wollte. »I don’t know whether this is the truth«, unterbricht Scholz den Interviewer. »She is there. I sent her there. She is going to the frontline and looking at the situation.« Und überhaupt: Deutschland zahle nun mal »most of the money« an die ukrainische Wirtschaft.
Für deutsche Medien kann es nur eine Lektion aus diesen Auftritten geben. Wir beim SPIEGEL tragen uns mit dem Gedanken, den Bundeskanzler künftig nur noch auf Englisch zu befragen, und raten allen Fernsehkollegen, es uns gleichzutun. Over to you, Marietta!