Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um den jüngsten Alleingang des bayerischen Ministerpräsidenten. Um die mafiösen Eliten Chinas und die Flugzeugkleidung des Bundeskanzlers.
Söders Boykott
Vielleicht täuscht mein Eindruck, aber irgendwie scheint der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in der Coronapolitik nicht mehr zum »Team Vorsicht« zu gehören, einem Gesinnungsverein, den er gleich zu Beginn der Pandemie selbst erfunden und gegründet hatte.
Bayerns Ministerpräsident Söder
Foto: Bernd Elmenthaler / imago images/Bernd Elmenthaler
Dass der Abschied vom Team der Vorsichtigen in zeitlichem Zusammenhang mit der Niederlage im Rennen um die Kanzlerkandidatur steht, mag reiner Zufall sein und tut hier auch nichts zur Sache. Es gab jedenfalls eine Zeit, da hätte es einen nicht gewundert, wenn Söder eine Masken- und Impfpflicht für Haustiere gefordert hätte.
Die Zeiten sind definitiv vorbei. Gestern kündigte Söder an, dass Bayern die ab Mitte März vorgesehene Impfpflicht für Beschäftigte im Gesundheitswesen erst mal nicht umsetzen werde. »Großzügigste Übergangsregelungen« werde es geben, die »de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs« hinausliefen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht war im Dezember vom Bundestag verabschiedet worden. Deren Umsetzung müssen aber die Länder gewährleisten. Söders Aussagen sind nicht weniger als eine Boykott-Ankündigung.
Natürlich gab und gibt es sehr gute Gründe, gegen eine Impfpflicht im Allgemeinen und eine einrichtungsbezogene im Speziellen zu sein. Gerade Pflegerinnen und Pfleger fühlen sich diskriminiert durch diese Sonderbehandlung – und das nicht zu Unrecht. Manche drohen, den Job zu kündigen oder haben es bereits getan. Vor allem Betreiber von Alten- und Pflegeheimen haben die Sorge, ihre Bewohner bald nicht mehr ausreichend versorgen zu können. Aus Mangel an Personal.
Wenn ein Bundesland aber jetzt, wenige Wochen vor dem Start, einen Rückzieher macht, hinterlässt die deutsche Politik wieder mal einen völlig chaotischen Eindruck.
Laxe Vollzugsregeln würden nicht nur das Leben der älteren Menschen mit schwachem Immunsystem gefährden, warnte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. »Dazu gefährden sie auch die Glaubwürdigkeit von Politik.« Auch Bundesfamilienministerin Anne Spiegel lehnt Söders Aussetzung ab. »Wir sollten das umsetzen, was wir aus guten Gründen im Dezember beschlossen haben«, erklärte sie mir gestern in unserem Berliner Studio. Sie war Gast im SPIEGEL-Spitzengespräch. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei »richtig«, sagte Spiegel, die auch Ministerin für Senioren ist. »Wir stehen in der Verantwortung, ältere Menschen in der Gesellschaft zu schützen.«
Dass derlei Appelle Eindruck auf Söder machen, ist nicht zu erwarten. Er ist inzwischen Anführer des ursprünglich mal von Armin Laschet begründeten »Team Freiheit«.
Chinas mafiöse Führung
Bei den Olympischen Winterspielen bekommen die vielen Athletinnen und Athleten sowie Journalistinnen und Journalisten dieser Tage hautnah mit, was es heißt, Gast einer Diktatur zu sein: Man wird rund um die Uhr überwacht, vermutlich sogar gezielt ausspioniert. Was man sagt, kann Konsequenzen haben. Was man berichten und filmen darf, bestimmt vielfach das Regime.
Chinas Präsident Xi Jinping, Kommunistische Parteiführung
Foto: NICOLAS ASFOURI / AFP
Einen entlarvenden Insiderbericht über dieses Regime hat Desmond Shums vorgelegt, sein wirtschaftlicher Aufstieg und der seines Landes gingen lange Zeit Hand in Hand. Der Geschäftsmann wurde nach der Jahrtausendwende mit Bauprojekten sagenhaft reich, hatte Kontakte in die höchsten Machtkreise der werdenden Weltmacht. Heute lebt er im Exil in Großbritannien. Seine Geschichte hat er im Buch »Chinesisches Roulette« aufgeschrieben.
Shum schildert das politische System als durch und durch korrupt, die politischen Eliten des Landes als mafiös. Er glaubt, dass der Westen sich in der KP Chinas geirrt habe. Diese sei nur auf eins bedacht: den eigenen Machterhalt zu sichern und auf ewig über zu China herrschen. Dieses wahre Gesicht der Partei bekomme die Welt nun zu sehen.
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Ex-Tycoon über die skrupellose Herrschaft der KP: »Ich werde auf keinen Fall nach China zurückgehen«
Die Angst vor der autofreien Stadt
Vor vielen Jahren, ich saß mit einem Freund im Café, hatte ich erstmals den Gedanken, dass es schon ziemlich krank ist, die schöne Straße, auf die wir blickten, mit Kraftfahrzeugen zuzuparken. Mit Tonnen an verarbeitetem Blech, das, wenn es nicht gerade lärmte und stank, irre viel Platz wegnahm. »Warum ist das eigentlich erlaubt?«, fragte ich mich und ihn. »Dass wir alles mit Autos zumüllen können?« Damals hatte ich selbst noch einen Wagen. Der Freund sah mich an, als hätte ich ein Rad ab und fragte mich, ob alles ok sei.
Autofreie Innenstadt in Naumburg, Saale
Foto: Olaf Döring / imago images
Ein paar Jahre später: Während in Paris, London oder Stockholm der klimafreundliche Umbau der Metropolen längst läuft, beginnt die Debatte bei uns immerhin langsam. Die Befürworter sehen darin auch einen Weg, die gebeutelten Innenstädte vor dem Verfall zu retten – wer schlendert, shoppt oder speist schon entspannt an einer mit Autos verstopften Straße?
»Weltfremd« und »lebensfern« seien solche Ideen, heißt es dagegen oft reflexhaft aus Teilen der Politik und der Wirtschaft. In den sozialen Netzwerken ist die Wortwahl meist noch deutlich derber. Das hat nicht nur mit Scheu vor Veränderungen zu tun. Wer nicht in der Nähe des Geschäftes parken kann, fährt halt woanders hin und lässt dort sein Geld, so die Sorge. Das sei dann für viele von Amazon gebeutelte Einzelhändler das finale Todesurteil.
Ist diese Angst berechtigt und begründet? Mein Kollege Felix Wadewitz hat den Faktencheck gemacht. Sein Fazit: »Wo bereits Erfahrungen mit einzelnen autofreien Straßen gemacht wurden, zeigt sich: Berichte über den Tod des Einzelhandels durch die Verkehrswende sind stark übertrieben.«
Gewinner des Tages…
Bundeskanzler Scholz im Flugzeug nach Washington
Foto: Kay Nietfeld / dpa
…ist ohne jeden Zweifel Olaf Scholz. Auf dem Hinflug nach Washington präsentierte sich der Bundeskanzler den mitreisenden Journalistinnen und Journalisten in ungewohnter Kanzlerkleidung: schwarzes T-Shirt, darüber ein grauer Rundkragen-Pullover, in dem die meisten Leute bestenfalls zum Bäcker gehen. Das »Redaktionsnetzwerk Deutschland« fragte gleich aufgeschreckt: »Darf ein Bundeskanzler im Pullover nach Washington reisen?« Ich würde gern lösen: »Ja!«
Man muss nicht in jeden grauen Pulli eine neue Männlichkeit reingeheimnissen. Aber: sich auch ohne Machtvehikel wie Zigarre, teuren Anzug und Krawatte souverän zu fühlen, ist für einen Kanzler im Jahr 2022 nicht die schlechteste Geisteshaltung. Wenn er jetzt noch souveräne Politik machen würde, wäre alles im Lot.
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Einen heiteren Dienstag wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen