Markus Feldenkirchen
»Eine gleichberechtigte und zukunftsorientierte Partnerschaft bemisst sich daran, dass Männer selbstverständlich die Hälfte der Familien- und Hausarbeit machen«, haben Sie neulich gesagt. Ihr Mann hat seinen Job aufgegeben. Sie sind Bundesministerin. Schaffen Sie es denn jetzt auch, trotz der Belastung die Hälfte des Haushalts zu machen?
Anne Spiegel
Da können Sie sicher sein. Ich unterstütze und tue, was ich kann. Und vor allen Dingen sorge ich dafür, dass wann immer ich mal Zeit habe, mein Mann dann auch seine Auszeit kriegt. Und ehrlich gesagt, ich liebe das. Mir macht das total Spaß, wenn die Kinder um mich rum springen und… Sie ziehen sich die Stirn kraus. Aber ich mache das wirklich auch total gerne Hausarbeit.
Markus Feldenkirchen
Sie haben auch mal über Ihren Mann erzählt, der wie gesagt seit dem ersten Kind komplett bei den Kindern ist, dass der wiederum Diskriminierung genau deshalb erfahre. Welche Art von Diskriminierung sind das?
Anne Spiegel
Also wir haben es ja sozusagen vierfach jetzt mit den vier Kindern auch schon erfahren, dass beispielsweise, wenn mein Mann in der Stadt unterwegs ist, mit einem Kind was noch Windeln trägt und er muss die Windeln wechseln. Wenn dann der Wickeltisch nur auf der Damentoilette ist, dann ist das einfach problematisch, weil er das logischerweise nicht benutzen kann.
Markus Feldenkirchen
Was macht er denn dann?
Anne Spiegel
Ich meine, notfalls muss er ja irgendwo sich behelfsmäßig einrichten oder so lange suchen, bis er einen ein Wickeltisch findet, der eben auch für Männer zugänglich ist. Bis hin dazu, dass ihm beispielsweise auch in einem Café jemand, eine Frau, Tipps geben wollte, wie er die Flasche richtig geben soll. Und ich bin davon überzeugt: Natürlich können Männer alles außer stillen. Ist ja klar.
Markus Feldenkirchen
Es gibt aktuell, weil viele Betreuerinnen und Betreuer in Quarantäne sind, wenn sie nicht selber gerade infiziert sind, wirklich eine prekäre Betreuungssituation in vielen Kitas dieses Landes. Was sagen Sie zum Beispiel alleinerziehenden Berufstätigen, die dieser Tage wirklich nicht wissen, wie sie Job und die Betreuung ihrer Kinder vereinbaren sollen?
Anne Spiegel
Ich weiß sehr wohl, dass insbesondere für die Alleinerziehenden die Corona Pandemie, die ja jetzt seit zwei Jahren, kann man sagen läuft, vor massive Herausforderungen stellen, aufreibend ist, Nerven kostet und natürlich auch frustriert. Ich glaube aber…
Markus Feldenkirchen
Das hilft denen aber noch nicht mit Blick auf die nächsten Wochen.
Anne Spiegel
Ja, ich komm ja jetzt mit meinem Halbsatz dazu. Ich glaube aber, dass es die absolut richtige politische Entscheidung war, zu sagen, dass wir als allerletztes über die Schließung von Schulen und Kitas sprechen und nicht als allererstes. Sprich, dass die Schulen und Kitas offen sind, damit eben auch beispielsweise Alleinerziehende, aber auch andere Familien, die darauf dringend angewiesen sind, die Kitas und Schulen in Anspruch nehmen können. Was mir noch wichtiger ist, ist der Blick auf die Kinder, denn für die ist dieser Alltag in Schulen und Kitas von einem ganz, ganz großen Wert. Das ist eigentlich so ein Anker der Stabilität, gerade in so einer turbulenten Pandemie.
Markus Feldenkirchen
Den Punkt, den Sie gerade angesprochen haben, haben wir einen kleinen Einspielfilm vorbereitet, nämlich um die psychischen Probleme von Kindern gerade in den Pandemie an. Das schauen wir uns kurz an.
SPIEGEL
Einsamkeit, Angst, Depressionen. Die seelische Belastung von Kindern und Jugendlichen ist seit Corona gewachsen. Das zeigt eine repräsentative Online-Befragung der Uniklinik Hamburg. Fast jedes dritte Kind ist demnach psychisch auffällig. Hatten vor der Krise 15 Prozent der Kinder Angst Symptome, waren es in der ersten Welle, 24 Prozent, mit der zweiten Welle sogar 30. Bei Depressionen ist der Wert von 10 auf 15 prozent gestiegen. Und auch Psychosymptomatische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit und Kopfschmerzen nehmen zu. Besonders häufig betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund.
Markus Feldenkirchen
Wie konnte es dazu kommen?
Anne Spiegel
Ich halte das für einen sehr, sehr ernstzunehmenden Befund, den wir da vorliegen haben. Zumal man ja leider davon ausgehen muss, dass wir auch eine Dunkelziffer haben, die noch höher ist, weil wir sprechen ja von denjenigen Fällen, die wir bereits kennen und von daher halte ich es für dringend erforderlich. Und dafür setze ich mich auch persönlich ein, dass wir bei allen Entscheidungen, die wir im Rahmen der Corona Pandemie treffen, immer auch schauen: Was macht das mit Kindern, mit Jugendlichen, mit Familien und auch diesen Blick darauf haben, dass Kinder und Jugendliche ganz, ganz besonders von der Pandemie betroffen sind. Kinder erinnern sich zum Teil gar nicht mehr an die Zeit vor der Pandemie und das zeigt….
Markus Feldenkirchen
Ist es das, was sie bei ihren Kindern beobachten?
Anne Spiegel
Das beobachte ich zum Teil auch bei meinen Kindern, aber auch bei anderen. Dass beispielsweise, wenn ich mein Sohn frage, ob er sich noch an die Zeit erinnern kann, als Menschen keine Masken tragen mussten, dann sagt er, er kann sich daran nicht mehr erinnern. Zu Beginn der Pandemie, da waren die Spielplätze geschlossen, da waren wir alle in einem Lockdown und das hat Kinder und Jugendliche sehr, sehr stark verunsichert. Das hat ihren Alltag auf den Kopf gestellt. Natürlich von uns Erwachsenen auch. Aber mir ist es wichtig, dass wir vor allen Dingen und das ist unsere Verantwortung als Erwachsene darauf achten, wie wir Kinder und Jugendliche bestmöglich schützen und unterstützen.
Markus Feldenkirchen
Aber wie kommen wir wieder da raus aus dem, was sie gerade recht beschrieben haben?
Anne Spiegel
Vielfältig. Also zum einen ich glaube, es ist unbedingt wichtig, wie gesagt, erst zuallerletzt über die Schließung von Schulen und Kitas zu sprechen. Aber der Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen ist ja viel mehr als nur Schule und Kitas. Und wir haben erhebliche Mittel bereitgestellt. Da ist auch jeder Euro gut aufgehoben, um beispielsweise Familien, Ferien, Freizeiten, Angebote für Kinder und Jugendliche in den Ferien, mehr Schulsozialarbeit und andere Projekte mehr, um das ein Stück weit abzufedern. Aber auch die Frage, das steht ja auch im Koalitionsvertrag, mehr Therapieplätze auch für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Also wir brauchen ein ganzes Sammelsurium an Antworten, um dieser Herausforderung gerecht zu werden.