Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um interessante Reisen nach Moskau und Kiew. Um die entsetzliche Tat von Kusel. Und um das Holpern der deutschen Impfkampagne.
Die russische Option
In normalen Zeiten würde eine solche Reise wohl nur mäßig Aufmerksamkeit erwecken: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán reist zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Aber die Zeiten sind nicht normal, und wenn ein EU-Regierungschef mitten in einer Krise zum Hauptverursacher reist, so wie Orbán dies heute tun will, dann ist die Frage: Welche Signale sollen von diesem Treffen in die Welt gesendet werden?
Wladimir Putin und Viktor Orbán bei einem Treffen 2017 in Budapest
Foto: AP/ Kremlin/ Sputnik
Orbán ist der erste Regierungschef eines Nato-Mitgliedlandes, der Putin seit Beginn der Bedrohung gegen die Ukraine persönlich trifft. Es darf angenommen werden, dass dieser westliche Regierungschef keine übermäßige Kritik an Putins Vorgehen an der Grenze zum Nachbarland äußern wird. Zu erwarten sind Bilder von zwei lächelnden Männern.
Der Ungar bemüht sich seit Langem um ein gutes Verhältnis zu Moskau – in vielen europäischen Hauptstädten ist er dagegen kein gern gesehener Gast mehr. Die EU hält Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbauprogramm zurück, weil es dem Rechtsstaat in Ungarn so schlecht geht.
Es ist Geld, das Orbán zu Hause eigentlich gut gebrauchen könnte: Die Inflation steigt, ebenso die Energiepreise. Und hier kommt Putin ins Spiel. Bei dem Treffen soll es nach Agenturangaben zwar um »Sicherheitspolitik in Europa« gehen, aber auch um niedrige Preise für russisches Gas. Im April muss sich Orbán einer Wahl stellen und die Opposition geht geschlossen mit einem gemeinsamen Kandidaten ins Rennen. Ein Erfolg, der sich auch auf die Portemonnaies der Menschen auswirkt, könnte da nicht schaden. Zuvor hatte Ungarn bereits den in der EU nicht zugelassenen russischen Impfstoff gekauft. »Orbán setzt auf die russische Option und sendet das Signal an Brüssel: Wir sind nicht unbedingt auf Euch angewiesen«, sagt mein Kollege Jan Puhl, der seit Jahren für den SPIEGEL über das Land berichtet.
Das Treffen zeigt also vor allem, wie schwer es der EU fällt, eins zu sein. Geschlossen. Wieder kann Putin einen kleinen Erfolg verbuchen und zeigen, dass eine gemeinsame europäische Außenpolitik nicht gelingt. Und russische Staatsmedien loben Ungarn als »eines der wenigen Länder, das sich erlaubt, eine eigene Meinung über die Lage in Europa zu haben.«
Im westlichen Europa gibt es ja selten Lob für Orbán. Es dürfte ein Treffen in entspannter Atmosphäre werden.
Breitbeinig nach außen
Auch Boris Johnson, seines Zeichens britischer Premier in häufiger Partylaune, plant heute eine Reise. Es geht nach Kiew. Eigentlich hatte ursprünglich seine Außenministerin Liz Truss diese Reise für sich selbst angesetzt, wie mein Kollege Jörg Schindler in London berichtet, Johnson hat sich mehr oder weniger spontan an sie drangehängt. Gestern Abend musste Truss dann spontan absagen – sie wurde positiv auf das Coronavirus getestet.
Boris Johnson vergangene Woche im Parlament, und gleich hinter ihm im roten Blazer, seine Außenministerin Liz Truss
Foto: UK PARLIAMENTARY RECORDING UNIT HANDOUT / EPA
Wie bei der Reise von Viktor Orbán ist auch hier das Timing interessant. Denn soeben wurde der lang erwartete Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray zu den sogenannten Lockdown-Partys im Regierungssitz veröffentlicht. Gestern hat sich Johnson den Fragen im Parlament gestellt, sich entschuldigt, das Übliche. Seit Wochen hält er dem Druck aus der eigenen Partei und den Forderungen nach einem Rücktritt Stand. Im Bericht, der eigentlich ein Zwischenbericht ist, ist unter anderem von »failure of leadership« die Rede – Führungsversagen. Könnte es noch schlimmer für einen Regierungschef werden?
Wenn es im Inneren schwierig wird, kann es manchmal Sinn ergeben, sich auf das Außen zu konzentrieren. Auffällig ist, dass Johnson seit geraumer Zeit unter den Regierungschefs im Westen mit die schärfsten Töne in Richtung Moskau anschlägt. Eine russische Invasion in der Ukraine, so Johnson, könne zu einer »schmerzvollen, gewalttätigen und blutigen Angelegenheit« werden, sagte er neulich sehr expressionistisch. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Partygate und Johnsons sehr breitbeinigem Auftreten in der Außenpolitik? So richtig die Unterstützung für die Ukraine ist – es fällt jedenfalls schwer, keinen zu sehen.
Mord auf der Landstraße
Es ist eine unfassbare Tat. Die Nachricht wirkte zunächst nicht wie aus Deutschland: Eine Polizistin und ein Polizist seien nachts erschossen worden. 24 und 29 Jahre alt. Nochmal der Blick auf die Nachricht, tatsächlich, das ist in Deutschland passiert, Rheinland-Pfalz, Landkreis Kusel, Kreisstraße 22. Die junge Frau, so heißt es, war noch Studentin, Polizeianwärterin, eine angehende Kommissarin in der Ausbildung. Sie machte ein Praktikum.
Ein Polizist am abgesperrten Tatort in der Nähe der Ortschaft Kusel
Foto: RONALD WITTEK / EPA
Sie und ihr Kollege arbeiteten nachts, während die meisten von uns schliefen, kontrollierten einfach nur ein Auto. Ein Routinevorgang, der ihnen den Tod brachte.
Noch sind die Hintergründe der Tat unklar, viele Fragen nach Motiv und Waffe werden uns in den nächsten Tagen sicher weiter beschäftigen. Noch sind die bisher zugänglichen Information über die mutmaßlichen Täter spärlich.
Viele Menschen drückten ihre Erschütterung in den sozialen Netzwerken aus, auch Politiker melden sich zu Wort, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, ihr Innenminister und viele andere.
Auch Innenministerin Nancy Faeser. Sie sagte, die Tat erinnere sie an eine »Hinrichtung«. Ich frage mich, ob dieses Wort klug gewählt war, so öffentlich und ungeschützt. Weil ja auch womöglich die Eltern, Geschwister, Freunde, Bekannte der getöteten Polizistin und ihres Kollegen diese Berichte lesen. Wer weiß, was dieses Wort in ihnen auslöst.
Man kann den Nächsten der Opfer nur Geduld, Kraft und Halt wünschen.
Verlierer des Tages…
…sind die Verantwortlichen der deutschen Impfkampagne. Bis Ende Januar sollten 80 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft worden sein – so hatte es zumindest Bundeskanzler Olaf Scholz ausgegeben. Als Grund für das verfehlte Ziel nannte Regierungssprecher Steffen Hebestreit selbstkritisch »kommunikative Schwächen«, aber auch Impfwilligkeit/ Impfunwilligkeit der Bürger, wobei natürlich zwischen diesen beiden Gründen ein Zusammenhang unterstellt werden könnte.
Immerhin, einige Bundesländer haben die 80-Prozent-Marke überschritten, laut Impfdashboard des Robert Koch-Instituts von Montagmorgen (letzter Stand) waren dies Bremen, Saarland und Hamburg.
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Um die kommunikativen Schwächen zu verbessern, lohnt sich vielleicht mal der Blick zum französischen Nachbarn. Wie unser Kollege Leo Klimm auf Twitter zu Recht darauf hinwies, dürfte die dortige Kampagne Erfolg versprechender sein. Manchmal muss man eben sehr direkt und klar argumentieren.
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