Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
-
Freedom Day – Warum in Dänemark, warum nicht bei uns?
-
Polizistenmorde – Wer ist Andreas S.?
-
Chinas Olympia-Dreikampf – Doping-Essen, Testbetrug, Handy-Spionage?
Advertisement
1. Dänemark öffnet, Deutschland nicht
In Dänemark war heute Freedom Day: Das Land lässt fast alle Coronabeschränkungen fallen. Maske weg, Impfpass weg, Abstandsgebote weg. Und das bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 5000. Nein, Sie haben sich nicht verlesen.
Sind die Dänen denn völlig verrückt geworden? Was ist faul an der Sache? Nichts ist faul, sagt die Regierung. Das Gesundheitssystem komme gut mit der Lage zurecht. Die Zahl der täglich auf Intensivstationen behandelten Covid-19-Erkrankten und die Zahl der Todesfälle liegt bei nur etwa der Hälfte des Vorwintermaximums.
Und in Deutschland? Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei mehr als 1200, also deutlich niedriger. Doch die Zeichen stehen nicht auf Öffnung. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte heute, er sehe keine Lockerungen vor Mitte April. Eine Debatte über Exitstrategien: »Das wäre völlig unangemessen und das völlig falsche Signal.«
Meine Kollegin Julia Merlot aus dem Wissenschaftsressort ist dem dänischen Corona-Wunder nachgegangen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Dänemark und Deutschland sind die Impfquoten. Mehr als 81 Prozent der dänischen Gesamtbevölkerung sind vollständig geimpft, 60 Prozent haben eine Boosterdosis erhalten. In Deutschland sind erst 74 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geimpft, die Boosterquote liegt bei 53 Prozent.
In der Gruppe ab 60 Jahren, die das höchste Risiko für einen schweren Verlauf hat, haben sich fast 100 Prozent der Dänen mit zwei Dosen immunisieren lassen, mehr als 95 Prozent sind geboostert. Wohingegen in Deutschland: erst 88 Prozent doppelt geimpft, 74 Prozent geboostert.
Doch es gibt noch einen anderen Unterschied: Die Dänen vertrauen ihrer Regierung. Michael Bang Petersen ist Fachmann für Politische Psychologie an der Universität Aarhus, er sagt: »Sogar die Mehrheit der älteren Menschen fühlt sich sicher, wenn die Einschränkungen fallen.«
Mit Lockerungen zu warten, bis alle offenen Fragen – etwa zu Long Covid – geklärt seien, verursache Kosten etwa mit Blick auf die Wirtschaft, das Wohlbefinden der Menschen und demokratische Werte. »Unsere Forschung zeigt, dass diese Kosten zu einer Pandemie-Müdigkeit führen, die Misstrauen schürt«. In Dänemark sei es den Menschen in der Pandemie vergleichsweise gut gegangen, weil Maßnahmen, wenn immer möglich, gelockert wurden.
Es ist also nichts faul im Staate Dänemark, im Gegenteil. Es ist beneidenswert, wie vernünftig unsere Nachbarn mit Corona umgehen – beim Impfen wie beim Lockern.
-
Lesen Sie hier mehr: Was Dänmark anders macht als Deutschland
-
Und hier finden Sie das Corona-Update: Alle Entwicklungen im Newsblog
2. Polizistenmorde in Rheinland-Pfalz: Wer ist Andreas S.?
Nach den beiden Polizistenmorden in Rheinland-Pfalz sitzen die beiden am Montag festgenommenen Tatverdächtigen in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft geht von gemeinschaftlichem Mord aus. Die Verdächtigen sollen die beiden Polizisten mit einer Schrotflinte und einem Jagdgewehr erschossen haben. Andreas S, der 38 Jahre alte Tatverdächtige, schweigt laut Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen. Der 32-jährige bestreite, geschossen zu haben.
In der Wohnung von Andreas S. in Sulzbach hat die Polizei offenbar ein ganzes Arsenal an Langwaffen gefunden. Das berichten meine SPIEGEL-Kollegen. S., 38, habe einen Jagdschein und eine Waffenbesitzkarte besessen, also die Erlaubnis, bestimmte Waffen zu führen. Diese wurde ihm allerdings entzogen.
Offenbar hatten Ermittler schon früher mit Andreas S. zu tun. Nach SPIEGEL-Informationen kam es im September 2017 zu einem Vorfall in einem Waldstück nahe Spiesen-Elversberg im Saarland. Ein Zeuge will Andreas S. beobachtet haben, wie dieser in einem fremden Jagdrevier ein Reh schoss. Das Verfahren wurde im Jahr 2019 jedoch eingestellt.
Vor einiger Zeit wurde gegen S. Anklage vor dem Schöffengericht Saarbrücken erhoben wegen Insolvenzverschleppung und nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge in mehreren Fällen. In dem Verfahren geht es um unlautere Geschäftspraktiken einer Bäckerei, die Andreas S. im Saarland betrieb. Nach SPIEGEL-Recherchen hatte S. seit 2017 außerdem einen Wildhandel.
Über die Tat ist bislang folgendes bekannt: In der Nacht von Sonntag auf Montag fuhr eine Zivilstreife der Polizei auf einer Kreisstraße in der Nähe der Ortschaft Kusel, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Kaiserslautern. Im Wagen saßen zwei Polizisten: ein 29 Jahre alter Oberkommissar, ein erfahrener Beamter, und eine 24-jährige Polizeistudentin, sie machte ein Praktikum in der Polizei-Inspektion. Im April sollte sie ihren Abschluss machen. Beide trugen Uniform und Schutzwesten.
Um 4.20 Uhr hielten sie einen Kastenwagen an. Die beiden informierten die zuständigen Kollegen, sie hätten totes Wild im Kofferraum des Wagens entdeckt. Kurz darauf fielen Schüsse, einer der beiden Polizisten funkte einen Hilferuf: »Komm schnell, die schießen, die schießen, kommt schnell!«
Als Rettungskräfte und weitere Polizeistreifen eintrafen, war die Kommissaranwärterin tot, offenbar durch den Schuss einer Schrotflinte. Ihr Kollege starb kurz darauf. Er soll mit Kugeln aus einem Jagdgewehr getötet worden sein.
Von den Tätern fehlte zunächst jede Spur. Gegen halb sechs am Montagabend meldete die Polizei schließlich die Festnahme von S. in Sulzbach. Die Polizei hatte offenbar am Tatort seinen Personalausweis gefunden. Ebenfalls dort festgenommen wurde der 32-jährige mutmaßlicher Komplize.
-
Lesen Sie hier mehr: Ermittler hatten Andreas S. schon länger im Visier
3. Die Spitzelspiele von Peking
Freuen Sie sich auch schon so aufs Wochenende, wenn in Peking die Olympischen Winterspiele beginnen? Nein? Aber warum denn nicht? Thomas Bach, der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, freut sich jedenfalls wie Bolle. Vor einigen Tagen lobte er Chinas Staatschef Xi Jinping für die »außergewöhnlichen Austragungsstätten«, zeigte sich »beeindruckt« von den Corona-Schutzmaßnahmen und dem »fortschrittlichen Konzept von Nachhaltigkeit«.
Wenn Sie mich fragen: Mir tun alle Athletinnen und Athleten leid, die unter diesen Bedingungen ihren Sport ausüben müssen. Unterkünfte und Spielstätten ähneln Gefängnissen. Die Sportler dürfen sich nur in »Closed Loops«, geschlossenen Kreisläufen, bewegen und haben keinen Kontakt nach draußen.
Was werden sie essen? Experten warnen: Der anabole Wirkstoff Clenbuterol wird in China zur Viehmast eingesetzt. Rückstände des für Sportler verbotenen Stoffs könnten somit auf den Tellern landen. Und trinken? Die Nordischen Kombinierer haben eine Ernährungsberaterin konsultiert. Einer ihrer Ratschläge: Die Mannschaft soll sogar zum Zähneputzen möglichst abgepacktes Mineralwasser verwenden.
Meine Kollegen Matthias Fiedler, Thilo Neumann und Wolf Wiedmann-Schmidt haben recherchiert, wie Olympia zur Risikoexpedition wird. Bei den Spitzelspielen von Peking muss jede Sportlerin und jeder Sportler die offizielle App des Events auf dem Smartphone installieren. Das diene der Kontaktnachverfolgung im Falle positiver Coronatests. Doch westliche Nachrichtendienste halten das für ein vorgeschoben. IT-Experten haben herausgefunden, dass die App ein Einfallstor zum Diebstahl von Gesundheitsdaten, Dateianhängen und Audiomitteilungen sein kann.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst warnt die deutschen Olympiateilnehmer in einer Broschüre. Man solle nur die nötigsten Unterlagen mitzunehmen, denn auch Hotelsafes seien nicht sicher. Wer ein eigenes Handy mitnehme, sollte es bei der Einreisekontrolle nicht aus der Hand geben, am besten seien Wegwerftelefone mit wenigen Adresseinträgen. Skeptisch sollen die Olympioniken auch bei Freundschaftsanfragen in den sozialen Netzwerken sein – dahinter könnten Fake-Profile chinesischer Dienste stecken. Und über allem schwebt die Angst vor Corona. Beziehungsweise davor, dass China das Virus nutzen könnte, um Sportler noch kurz vor dem Start von der Eisbahn zu holen und in Quarantäne zu sperren.
Bis vor einigen Jahren gehörten Olympische Spiele für mich zu den schönsten Wochen im Jahr. Ich saß vor dem Fernseher und fieberte mit Georg Hackl, wenn er als rasende Rennwurst auf seinem Rodelschlitten lag. Heute sagt Hackl, inzwischen Verbandstrainer: »Es macht einfach keinen Sinn mehr.« Er hat sich vergeblich dafür ausgesprochen, die Spiele zu verschieben.
Am Freitag um 13 Uhr deutscher Zeit beginnt die Eröffnungsfeier. Und nein, ich freue mich nicht darauf.
-
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wird Peking zur Hochrisikoexpedition für deutsche Athleten?
(Sie möchten die »Lage am Abend« per Mail bequem in Ihren Posteingang bekommen? Hier bestellen Sie das tägliche Briefing als Newsletter.)
Was heute sonst noch wichtig ist
-
KfW will nun doch Förderanträge für Energiesparhäuser bearbeiten: Der plötzliche Finanzierungsstopp klimafreundlicher Bauvorhaben stellte Tausende Bürger vor Probleme. Nun können Hausbauer nach SPIEGEL-Informationen doch mit Geld rechnen.
-
George Soros warnt vor digitalem Aufstieg Chinas: Der US-Philanthrop blickt besorgt auf Chinas Datensammelwut. Er sieht im Wettlauf bei künstlicher Intelligenz einen Systemkonflikt, der die freie Gesellschaft gefährdet.
-
Tom Brady bestätigt Karriereende: Mit 44 Jahren nimmt die Karriere von Tom Brady ein Ende. Erste Medienberichte vom Wochenende wollte Brady zunächst nicht bestätigen, offenbar um selbst die Entscheidung zu verkünden.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Atomkraft? Ja bitte!
Anti-Atomkraftdemo in Düsseldorf (Archivbild)
Foto: Federico Gambarini/ dpa
Über Energiepolitik wird in Deutschland heftig gestritten, doch zumindest in einem Punkt sind wir uns weitgehend einig: Atomkraft? Nein danke! Noch dieses Jahr werden die letzten deutschen Meiler endgültig abgeschaltet. Nicht mal die FDP stellt den Ausstieg noch infrage.
Umso interessanter ist es, wenn einem aus dem Ausland der SPIEGEL vorgehalten wird. Mein Kollege Leo Klimm lebt in Paris und hat ein Interview mit Philippe Knoche geführt, dem Vorstandschef des französischen Atomkonzerns Orano, der bis vor einigen Jahren noch Areva hieß. Anders als die Deutschen sind die Franzosen stolz auf ihre Meiler. Präsident Emmanuel Macron hat sich bei der EU erfolgreich dafür eingesetzt, dass Kernenergie in Zukunft als grüne, klimafreundliche Technologie geführt wird.
Orano-Chef Knoche sagt im Interview, in Deutschland sei die Atomkraft einem moralischen Urteil unterworfen: »Eine Sünde, als das Übel schlechthin.« Leider richteten wir Deutschen uns nach Gefühlen, nicht nach Fakten. »Die Atomkraft hat den immensen Vorteil, dass sie so CO2-arm ist wie die Erneuerbaren«, sagt er. »Die Mengen an radioaktivem Müll sind gering, und sie können weitgehend unschädlich gemacht werden. Im Gegensatz zu Treibhausgasen. Wenn CO₂ erst einmal in der Luft ist, kann man nichts mehr machen.«
Aber was ist mit den Risiken, mit der Strahlengefahr, mit der ungelösten Frage nach einem Endlager? Knoche sagt, die Kohleverstromung sei viel gefährlicher und gesundheitsschädlicher. »In Europa ist noch nie jemand an Atomabfall gestorben.«
-
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »In Europa ist noch nie jemand an Atomabfall gestorben«
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
-
Warum sterben so viele Cops an Covid? Im vergangenen Jahr kamen in den USA deutlich mehr Polizisten durch das Coronavirus als durch Schusswaffen ums Leben. Der Gesundheitsexperte Troy Anderson erklärt, weshalb so viele Beamte mit einer Impfpflicht hadern.
-
Istanbul hat er Erdoğan schon entrissen – folgt bald das ganze Land? Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu hat sich zum politischen Star gewandelt – und kann dem Präsidenten gefährlich werden. Hier sagt er, warum er keine Angst vor Erdoğan hat.
-
»Nicht einfach ein Tablet hinstellen und sagen: macht mal«: Wie kommen Schüler durch die Coronazeit? Dirk Hastedt, Direktor des Bildungsforschungsinstituts IEA, erklärt, warum in der Pandemie jene Kinder verloren gegangen sind, die Unterstützung am nötigsten gebraucht hätten.
Was heute weniger wichtig ist
Umstandsmodel: Rihanna, 33, erwartet ihr erstes Kind. In Begleitung ihres Freundes, dem Rapper A$AP Rocky, präsentierte sie am Wochenende im New Yorker Stadtteil Harlem ihren halbnackten Babybauch. Die Sängerin von Hits wie »Diamonds« und »Umbrella« ließ sich mit einem weit geöffneten rosafarbenen Mantel fotografieren. Dass an dem Wochenende ein Schneesturm mit eisigen Temperaturen über New York hinwegzog, schien sie nicht zu stören.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Tunesiens Trainer Mondher Kebaier (r.) redet auf Schiedsrichter Janny Sikazwe
Cartoon des Tages: Klare Haltung
Foto:
Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Haben Sie nach zwei Jahren Pandemie auch schon fast vergessen, wie es ist, ins Kino zu gehen? Hannah Pilarczyk und Wolfgang Höbel aus unserem Kulturressort möchten Sie ermuntern, sich dort nun wirklich einen Film anzusehen, den vergangene Woche schon mein Kollege Oliver Trenkamp empfohlen hat: »Licorice Pizza« von Regisseur Paul Thomas Anderson, der mit »Boogie Nights«, »Magolia« und »There Will Be Blood« schon mehrfach für den Oscar nominiert war und in Hollywood, so Hannah, »wie ein Gott verehrt wird«.
Andersons neuer Film spielt im Kalifornien der Siebzigerjahre und handelt von der Liebe: Gary, 15, verehrt Alana, 25. Doch der etwas pausbackige Junge bekommt von der coolen Frau erst mal eine Abfuhr. Aber er ist hartnäckig. Und so beginnt eine »kurvenreiche, luftige Liebesgeschichte, die von einer Poesie zeugt, wie sie schon sehr lange nicht mehr im Kino zu sehen war«, wie mein Kollege Wolfgang schreibt. »In den Kinozuschauerinnen und Kinozuschauern, so sie ein Herz haben, weckt dieser Film schon in den ersten Minuten unwillkürlich den Wunsch, dabei gewesen zu sein in jener magischen kalifornischen Vorstadtwelt, in der sich das Paar begegnet.«
Ich möchte den Film schon wegen der Hauptdarstellerin Alana Haim sehen. Sie war mir bislang nur als Sängerin der Familienband Haim bekannt. Sollten Sie diesen Teil ihrer Karriere noch nicht kennen, sehen Sie sich gerne das Video mit ihrer Version von Fleetwood Macs »Oh Well« an, bevor Sie ins Kino gehen: Großartig!
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
Hier können Sie die »Lage am Abend« per Mail bestellen.