Der Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger hat das zurückhaltende Agieren der Bundesregierung angesichts von Russlands Aufrüstung an der ukrainischen Grenze scharf kritisiert. »Ungeschicklichkeiten« im Umgang mit der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 und der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine hätten dazu geführt, dass Deutschland nun in den USA und bei anderen Bündnispartnern »in einem miesen, schlechten Licht« dastehe, sagt der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. »Deutschland hat bei einer ganzen Reihe von Partnern bereits Vertrauen verloren oder riskiert es gerade zu verlieren.«
Ischinger beklagte auch, dass die deutsche Zurückhaltung Russland in die Hände spiele. »Das Wackeln verschiedener deutscher Politiker ist natürlich in Moskau genau registriert worden«, sagte der frühere deutsche Botschafter in Washington.
AdvertisementBaltische Staaten haben kein Verständnis für Absage an Waffenlieferungen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in der Ukrainekrise lange gezögert, bevor er sich positioniert hat. Erst Mitte Januar legte er die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als Sanktionsinstrument für den Fall eines russischen Einmarsches in die Ukraine auf den Tisch – und das auch nur verklausuliert. Gleichzeitig erteilte er der Lieferung letaler Waffen an die Ukraine anders als andere Bündnispartner eine klare Absage. Das wird von der Ukraine, aber auch von Ländern wie Polen oder den baltischen Staaten kritisiert. In den USA wird ebenfalls die Frage gestellt, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner ist.
Angesichts der kontroversen parteiinterner Debatten will die SPD anfang kommender Woche klären, wie sie künftig mit Russland umgeht. Parteichef Lars Klingbeil hat für Montag eine Klausur mit führenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einberufen.
Ziel des Treffens ist dem Vernehmen nach, die zwei innerparteilichen Lager in der Russlanddebatte zu versöhnen und damit einen Konflikt zu beenden, der die Partei schon seit Jahren belastet. Zuletzt war es abermals zu einem auch öffentlich ausgetragenen Streit in der SPD über das Verhältnis zu Moskau gekommen. So plädierten Pragmatiker angesichts des Ukraine-Konflikts für mehr Härte gegenüber Russland, Vertreter des linken Parteiflügels für eine Fortsetzung der klassischen Entspannungspolitik.
Bei allem, was in den letzten Tagen in Washington, Brüssel und Kiew gesagt und in der internationalen Presse über Deutschland geschrieben worden sei, werde ihm »angst und bange«, sagte Ischinger. »Es hat einige Ungeschicklichkeiten gegeben. Ich halte die nicht für irreparabel. Aber ein Reputationsschaden ist schon eingetreten.«