Die EU-Kommission und ihre Chefin Ursula von der Leyen bekommen neuen Ärger wegen ihres Umgangs mit SMS- und Chatnachrichten. Die EU-Ombudsstelle hat am Freitag einen Untersuchungsbericht über angeblich nicht auffindbare Nachrichten zwischen von der Leyen und Albert Bourla, dem Chef des US-Pharmakonzerns Pfizer, veröffentlicht. Darin übt Ombudsfrau Emily O’Reilly scharfe Kritik am Verhalten der Kommission – und fordert sie auf, ernsthaft nach den Nachrichten zu suchen.
Die »New York Times« hatte im April 2021 berichtet, von der Leyen und Bourla hätten mehr als einen Monat lang Kurznachrichten ausgetauscht, um den wenig später verkündeten Vertrag über die Lieferung von bis zu 1,8 Milliarden Dosen Coronaimpfstoff einzufädeln.
AdvertisementEmily O’Reilly: Kein Versuch der EU-Kommission, »herauszufinden, ob Textnachrichten existieren«
Foto: ATTILA KISBENEDEK / AFP
Ein Brüsseler Journalist hatte die Kommission später im Rahmen einer offiziellen Anfrage aufgefordert, die Nachrichten herauszugeben. Die Kommission aber erklärte, sie besitze die Korrespondenz nicht. SMS und andere Kurznachrichten seien »von Natur aus kurzlebig … und enthalten prinzipiell keine wichtigen Informationen über die Politik, die Aktivitäten oder Entscheidungen der Kommission«, hieß es in einer schriftlichen Antwort. Kurznachrichten seien von der Dokumentenerfassung daher »prinzipiell ausgeschlossen«.
Klarer Fall von »Misswirtschaft«
Diesen Trick nutzte die Kommission offenbar auch, um den Verbleib der SMS von der Leyens zu verschleiern. Denn laut O’Reillys Bericht bat die Kommission von der Leyens Kabinett nicht etwa, nach dem SMS-Austausch mit Bourla zu suchen – sondern nach »Dokumenten, welche die internen Archivierungs-Kriterien der Kommission erfüllen«. Laut diesen Regeln aber, die sich die Kommission selbst gegeben hat, werden – siehe oben – SMS-Nachrichten gar nicht erfasst.
Das bedeute, dass »kein Versuch unternommen wurde, herauszufinden, ob Textnachrichten existieren«, kritisiert O’Reilly. Es liege ein klarer Fall von »Misswirtschaft« vor.
Die Irin wirft der Kommission indirekt sogar vor, schlicht illegal mit SMS- und Kurznachrichten umzugehen. »Kurznachrichten fallen eindeutig unter das EU-Transparenzgesetz, weshalb relevante Nachrichten archiviert werden sollten«, sagt O’Reilly. »Anderslautende Behauptungen sind unglaubwürdig.« Der Inhalt und nicht die Form eines Dokuments entscheide darüber, ob es ein Recht auf Zugang geben sollte. Die Kommission solle von der Leyens Büro nun erneut – und diesmal ernsthaft – auffordern, nach von der Leyens Korrespondenz mit Bourla zu suchen.
Bisher aber hat sich die Kommission strikt geweigert, auch nur die Existenz der Nachrichten zu bestätigen. Auch die niederländische Europaabgeordnete Sophie in’t Veld erhielt auf eine offizielle Frage nach dem Verbleib der SMS von der Leyens keine Antwort von der Kommission.
Routinemäßige Massenlöschungen
Deren Vizepräsidentin Věra Jourová teilte stattdessen mit, die internen Regeln der Behörde zur Nichtarchivierung von Kurznachrichten seien rechtens. Das mutet seltsam an, hatte doch Jourová selbst erst im November dieselben Regeln öffentlich als überholt bezeichnet und eine Modernisierung versprochen.
Von der Leyens SMS-Nachrichten sind zudem kein Einzelfall. Als der niederländische Steuerexperte Martijn Nouwen die Kommission zur Herausgabe von Dokumenten über Steuerdeals der EU-Länder fragte, antwortete sie ebenfalls, dass sie nur herausgeben könne, was anhand ihrer umstrittenen internen Regeln archiviert worden sei. Dabei stellte sich heraus, dass die Kommission nicht nur keine SMS- und Chatnachrichten archiviert, sondern routinemäßig massenhaft E-Mails löscht.