Das tägliche Mittagsgebet in der Moschee des Islamischen Kulturcenter Halle: nur scheinbar beten die Muslime hier alle mit innerer Ruhe. Vergangenen Sonntag hat es Schüsse aus einem anliegenden Mehrfamilienhaus gegeben.
Djamel Amelal, Gemeindevorsitzender: »Die Angst ist da und viele Leute haben das auch kommuniziert.«
Taha Rafet, Gemeindemitglied: »Einer unserer Brüder musste leider draußen beten. Der ist mit dem Rollstuhl unterwegs, da er keine Beine hat. Und der untere Bereich, wo er sonst mit dem Rollstuhl reingehen würde, war zu dem Zeitpunkt belegt, sodass er hier draußen gebetet hat. Genau da, wo Sie stehen. Er wurde leider mit zwei Kugeln oder kugelartigen Formen beschossen.«
Taha Rafet hat drei Projektile gefunden. Sein Glaubensbruder habe gesehen, wie die Waffe in ein Fenster zurückgezogen wurde. Als Tatverdächtiger ermittelte die Polizei einen 55-Jährigen. In seiner Wohnung wurden eine Waffe zum Verschießen von Diabolos und eine Gasdruckpistole gefunden. Laut Staatsanwaltschaft ist noch unklar, ob die Moschee tatsächlich das Angriffsziel war. Für die Gemeinde steht fest: das war ein Anschlag auf Muslime.
AdvertisementTaha Rafet, Gemeindemitglied: »Derjenige, der auf einen Rollstuhlfahrer schießt, der tut mir einfach nur leid, dass er so wenig Grips und Herz hat. Leider Gottes ist es in den letzten Jahren schon öfters vorgekommen, dass wir beschossen werden. Von der anderen Seite das letzte Mal, dieses Mal von der Seite. Wir sind genau dazwischen, zwischen den Häusern.«
Die Geschehnisse wecken außerdem Erinnerungen an den antisemitischen Anschlag im Oktober 2019. Ein Attentäter versuchte vergeblich, in die Synagoge einzudringen und erschoss anschließend eine Passantin und einen Gast in einem Dönerlokal. In der Gemeinde glauben sie, dass die Moschee durch pures Glück vor seinem Angriff bewahrt wurde: Der Attentäter habe auf dem Weg dorthin versehentlich seine Reifen zerschossen.
Djamel Amelal, Gemeindevorsitzender: »2019 ist noch frisch. Wo zwei Personen gestorben sind. Zwei Menschen. Und das waren Deutsche. Das heißt, es könnte jedem jetzt etwas passieren. Man muss nicht Muslim oder Jude sein.«
Einige Bürger von Halle zeigten sich solidarisch mit den Opfern des Anschlags: Über den Verkauf von T-Shirts finanzierten sie den Umbau des ehemaligen Dönerladens und die Wiedereröffnung als Café. In der Moschee sind Gebete seit den Angriffen jedoch nur noch unter Polizeischutz möglich.
Djamel Amelal, Gemeindevorsitzender: »Ich arbeite hier im Büro und dann sehe ich das täglich. Und das erinnert mich jedes Mal, wenn die Polizei hier steht: Das heißt, wir sind hier nicht sicher. Und Sonntag hat uns das nochmal bestätigt. Das ist schon ein bisschen traurig, aber momentan ist das die Lage.«
Hier in Neustadt Nord lebt ein Großteil der Muslime in Halle, das Kulturcenter gibt es seit 30 Jahren. Es werden Volleyball- und Fußballtraining angeboten, Sprachkurse sowie eine Kinderbetreuung. Seit 2015 wächst die Gemeinde stetig, der Platz reicht nicht mehr. Zum Freitagsgebet wird es hier so voll, dass viele draußen beten müssen. Doch ein größeres Gebäude hat die Stadt bisher nicht im Angebot. Die Gemeinde bemüht sich um Kontakt zu den direkten Nachbarn über Straßenfeste und Workshops.
Taha Rafet, Gemeindemitglied: »Jeder ist herzlich eingeladen, uns kennenzulernen, um zu sehen, dass wir liebe Menschen sind.«
Dem Gemeindevorsitzenden Amelal berichteten Frauen täglich, dass sie wegen ihres Kopftuches beleidigt, angespuckt oder geschubst würden. Mehrfach seien auch die Scheiben des Kulturcenters eingeworfen worden.
Djamel Amelal, Gemeindevorsitzender: »Das, was passiert ist, muss schnell geändert und aufgeklärt werden. Er muss seine Strafe bekommen, damit es keine weiteren Nachahmer gibt. Das Leben geht weiter. Ich werde mich nicht ducken und zu Hause bleiben. Ich werde ganz normal leben, zur Arbeit kommen. Das wird uns nicht daran hindern, dass wir unser normales Leben weiterführen.«
Mehr Videos zum Thema