Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Knappe PCR-Tests – Wer sollte Vorrang genießen?
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Grüne Personalien – Nochmal eine Kanzlerinnenkandidatur?
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Begehrte Städte – Wohin nach dem Studium?
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1. Es gibt solche und Seuche
Deutschlands erster Corona-Patient kam heute vor zwei Jahren, am 27. Januar 2020, ins Krankenhaus in München-Schwabing. Im Wortsinn: Er kam selbst, musste nicht eingeliefert werden, er fühlte sich nicht krank – nicht mehr. Ein paar Tage zuvor hatte er Fieber, litt an Schüttelfrost und leichtem Durchfall, wie er dem Bayerischen Rundfunk jetzt erzählt hat. Er kam auf Anweisung, weil ein Test die Infektion mit dem damals wirklich neuartigen Virus Sars-CoV-2 anzeigte. Angesteckt hatte sich der Mann, der anonym bleiben will, bei einer Kollegin aus China; beide arbeiteten für den Autozulieferer Webasto.
Seit damals entdeckten die Test-Labore mindestens 9,24 Millionen Infektionen in Deutschland; mehr als 200.000 allein gestern. Jetzt geschieht mit PCR-Tests, was in den zwei Jahren der Pandemie schon mit Masken, Schnelltests und Impfstoffen geschah: Sie werden knapp. Und wie immer, wenn Mangel herrscht, beginnt der Verteilungskampf, hierzulande glücklicherweise meist verbal: Wer darf zuerst? Wer überhaupt? (Warum es der Stadt Wien gelingt, mehr PCR-Tests zu machen als ganz Deutschland, lesen Sie hier.)
Sicherlich sinnvoll ist es, wie vorgesehen, Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger sowie Risikopatienten mit Vorrang zu behandeln. Doch dann geht es schon los. Die Gewerkschaft GEW fragt: Was ist mit Lehrerinnen und Lehrern? Unterstützung kommt jetzt aus der SPD, die immerhin den Bundesgesundheitsminister stellt. Der Bremer Fraktionschef Mustafa Güngör sagte meinem Kollegen Christian Teevs, auch Lehrer und Erzieher zählten zur kritischen Infrastruktur und müssten priorisiert werden.
Vergessen wird dabei gern die einzige Gruppe, die noch keine Chance hatte, sich impfen zu lassen: Kitakinder unter fünf Jahren. Vielleicht bin ich nicht komplett unbefangen, aber ich finde: Sie sollten auf der PCR-Prio-Liste weit oben landen. Zwei bis drei PCR-Pooltests pro Woche und Kita-Gruppe spüren Infektionen zuverlässig so früh auf, dass sich niemand anderes ansteckt – und die Lollimethode funktioniert sogar bei den Kleinsten. Wo sie nicht vorbereitet wurde, kommt eine solche Teststrategie für die Omikron-Welle wahrscheinlich zu spät. An den Schulen in NRW wurde sie kurzerhand umgestellt, weil die Labore nicht nachkamen. Aber vielleicht, ganz vielleicht bereitet sich ja jemand auf die nächste Welle vor.
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Lesen Sie hier alle aktuellen Pandemie-Entwicklungen: Das Corona-Update
2. Grüne Personalien
Ricarda Lang will am Wochenende Parteichefin der Grünen werden. Vor dem Bundesparteitag hat sich die Kandidatin nun mit dem Coronavirus infiziert. Das habe ein PCR-Test am Mittwochabend ergeben, twitterte sie: »Zum Glück bin ich dreifach geimpft, mir geht es gut, und ich verspüre keine Symptome.« Ihre Bewerbungsrede am Samstag werde sie digital halten.
Beim Parteitag endet auch die Amtszeit des politischen Geschäftsführers der Grünen, Michael Kellner. Zum Abschied hat er mit meiner Kollegin Valerie Höhne und meinem Kollegen Jonas Schaible über die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen den gesamten Bundesvorstand gesprochen, über den gescheiterten Kanzlerinnenwahlkampf, über grüne Dogmen und über die »beschissenste Sache« seiner Amtszeit, wie er den Streit mit dem Landesverband Saarland in ungewohnter Deutlichkeit nennt: Wegen einer fehlerhaften Listenaufstellung konnte man die Grünen bei der Bundestagswahl nicht mit der Zweitstimme im Saarland wählen.
»Generalsekretäre oder, bei den Grünen, politische Geschäftsführer, haben den vielleicht undankbarsten Job der Politik: Man muss auf die politischen Gegner eindreschen und die eigene Partei verteidigen, auch wenn alle sehen, dass man Kokolores redet«, sagt Jonas. »Kellner hat das mehr als acht Jahre gemacht und auch mal daneben gegriffen. Zum Beispiel, als er Annalena Baerbocks Buch im Wahlkampf scharf verteidigt hat, wie er jetzt bemerkenswert offen zugibt.«
Kellner zeigt sich auch offen für eine erneute Kanzlerkandidatur seiner Partei: »Der Traum vom Kanzleramt ist nicht ausgeträumt, nur weil es beim ersten Mal nicht geklappt hat.«
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Das ganze Gespräch lesen Sie hier: »Der Traum vom Kanzleramt ist nicht ausgeträumt«
3. Elbverstärkung
Wohin nach dem Studium? Vor allem weg, denken sich viele Absolventinnen und Absolventen in Ostdeutschland, wie eine neue Befragung zeigt. Besonders schlecht schneidet Sachsen-Anhalt ab: Auf zehn Studierende kommen nur vier, die dort auch in den Beruf einsteigen wollen. Auch aus Thüringen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz wollen viele Absolventinnen und Absolventen nach dem Abschluss wegziehen.
Nur vier Bundesländer können von Studierenden profitieren, die nach dem Abschluss für den Beruf umziehen wollen: die Stadtstaaten Hamburg und Berlin sowie Bayern und Baden-Württemberg, also der industrie- und wirtschaftsstarke Süden. Besonders gut schneidet dabei Hamburg ab: Auf 100 Studierende aus Hamburg kommen 215 Absolventinnen und Absolventen, die nach dem Abschluss in der Stadt bleiben oder zuziehen wollen. Denn bei euch im Süden von der Elbe, da ist das Leben nicht dasselbe.
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Lesen Sie hier mehr: In diese Bundesländer zieht es Studierende nach dem Abschluss
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Was heute sonst noch wichtig ist
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»Wir sehen ein Desaster«: Kardinal Marx will im Amt bleiben – obwohl auch ihm im Münchner Missbrauchsgutachten Fehlverhalten vorgeworfen wird. Konkrete Maßnahmen lassen auf sich warten, Betroffenenvertreter sind sprachlos.
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Kreml reagiert verhalten auf Antworten von Nato und USA: Die Nato-Staaten haben Russland Vorschläge für eine Verbesserung der Beziehungen übermittelt. In einem wichtigen Punkt gebe es keine positive Aussage, hieß es in Moskau.
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»Tag der Scham«: Der Bundestag gedenkt der Opfer der Schoa. Israels Parlamentspräsident Levy und die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher warnen eindringlich vor dem Vergessen. Doch wie erinnert man, ohne sich in Ritualen zu verlieren?
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Schulbehörde in Tennessee streicht Holocaust-Comic »Maus« aus dem Lehrplan: Der Zeichner Art Spiegelman schilderte in einem Comic, wie seine Eltern Auschwitz überlebten. Es wurde ein Weltbestseller – doch eine Schulbehörde in den USA sorgt sich, es könne Kinder »indoktrinieren«.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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»Musk erweist den Kryptowährungen einen Bärendienst«: Er hält den Bitcoin für eine Blase – und die Tweets von Elon Musk für einen Fall für die Finanzaufsicht. Im Interview erklärt der Allianz-Ökonom Stefan Hofrichter, weshalb auf Kryptoanleger nun schwere Zeiten zukommen.
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Schöner Schein: Die Deutsche Bank hat 2021 passabel Geld verdient. Neben den Investmentbankern sollen diesmal sogar die Aktionäre profitieren. Doch der nächste Skandal rollt bereits mit Macht auf das Institut zu.
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Erste schwarze Richterin am US-Supreme Court: Am höchsten Gericht der USA wird eine Stelle frei: Der liberale Stephen Breyer hört auf. Präsident Biden hat versprochen, dass der Job an eine schwarze Frau geht. Kriegt er das durch?
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So geht Pub-Rock-Tennis: Nick Kyrgios und Thanasis Kokkinakis bescheren dem Doppelwettbewerb in Australien enorme Aufmerksamkeit. Die TV-Zahlen explodieren, in den Arenen herrscht Festivalstimmung. Dahinter steckt Kalkül.
Was heute weniger wichtig ist
Ingrid Pruckner mit dem fast entwischten »Fluffy«
Foto: – / dpa
Saugen, was ist: Ein Saug- und Wischroboter mit dem Spitznamen Fluffy aus dem österreichischen Städtchen Wieselburg hat mit seiner Flucht aus dem »Schmankerlladen« über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen gemacht. Das Gerät war zu Beginn der Woche aus dem Lebensmittelladen entwischt und wurde nach einem Suchaufruf bei Facebook nun wieder gefunden, wie Ingrid Pruckner, die im Geschäft arbeitet, der Nachrichtenagentur dpa sagte. Ein Überwachungsvideo aus dem Laden zeigte, wie der Haushaltshelfer entkommen konnte: Um Punkt sieben Uhr morgens, als der Roboter seine Arbeit eigentlich schon hätte erledigt haben sollen, schob sich die Schiebetür des Ladens für ihren allmorgendlichen Probebetrieb einmal auf und wieder zu. Genau in diesem Augenblick rollte der Staubsauger hinaus auf die Hauptplatz genannte Straße. Pruckner sagt: »Er hat die Gunst der Sekunde genutzt.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Auch die Beschilderung sorgt dem ADAC zufolge nicht immer für mehr Klarheit: So bleibe es beim Zusatzzeichen ›Während des Landevorgangs‹ etwa offen, was gilt, wenn die Batterie voll ist, das Auto aber noch parkt.«
Cartoon des Tages: Hauptsache ein Zeichen der Solidarität
Foto:
Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Könnten Sie, wenn Sie trotz hoher Inzidenzen noch ins Kino gehen, einer Empfehlung meines Kollegen Wolfgang Höbel folgen und sich den Film »Licorice Pizza« anschauen, der heute startet.
»Es war einmal in Amerikas goldenen Siebzigern – das könnte das heimliche Motto dieser märchenhaft schönen Komödie sein« findet Wolfgang. Der Film spielt in einer Zeit, »in der Wasserbetten schick waren und Plattenläden auf den Namen Licorice Pizza, also Lakritzpizza, getauft wurden«. Gary (Cooper Hoffman) ist 15 Jahre alt, lebt im kalifornischen San Fernando Valley und tritt neben der Schule als Kinderdarsteller in Hollywoodfilmen auf; Alana (Alana Haim) ist zehn Jahre älter und verdient sich mit einem Job als Fotoassistentin auf dem Schulcampus etwas Geld nebenher. »Der frühreife, ein bisschen speckbäckige Kleine darf die abenteuerlich verpeilte Alana zwar mal ausführen, aber natürlich bekommt er erstmal eine Abfuhr«, so Wolfgang. »Trotzdem beginnt eine aberwitzig kurvenreiche, luftige Liebesgeschichte, die von einer Poesie zeugt, wie sie schon sehr lange nicht mehr im Kino zu sehen war.«
Ich Corona-Angsthase warte wahrscheinlich, bis der Film nach Hause geliefert wird. Aber darauf freue ich mich.
Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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