Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, einer gescheiterten Klage der AfD, deutschen Helmen für die Ukraine – und dem Schicksal von Krallenfröschen.
Opfergedenken
Seitdem die AfD vor viereinhalb Jahren das erste Mal in den Bundestag eingezogen ist, legt sich auch über die Gedenkstunden am 27. Januar des jeweiligen Jahres eine besondere Dringlichkeit. Ein Gefühl, dass Geschichte nie etwas Vergangenes und Abgeschlossenes ist. Die Ahnung, dass diese Demokratie und diese Republik nicht einfach so da sind und anstrengungslos bleiben werden. Sondern immer wieder verteidigt sein wollen.
Reichstagsgebäude am Vortag des Gedenkens
Foto: FILIP SINGER / EPA
Vor genau einem Jahr hielt Charlotte Knobloch im Bundestag eine bewegende Rede. Die Holocaust-Überlebende und frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland sagte in Richtung der Rechtsradikalen unter den AfD-Abgeordneten: »Sie werden weiter für ihr Deutschland kämpfen und wir werden weiter für unser Deutschland kämpfen. Ich sage ihnen: Sie haben ihren Kampf vor 76 Jahren verloren.«
Am heutigen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – vor 77 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee die Menschen aus dem Vernichtungslager Auschwitz – wird Inge Auerbacher als Überlebende der Schoa die Rede im Bundestag halten. Die 87-jährige New Yorkerin stammt aus Kippenheim am Rande des Schwarzwalds, überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt und wanderte mit ihren Eltern nach dem Krieg in die USA aus.
Ihre Mahnung an die Jüngeren: »Du hast immer eine Wahl!« So wie sich einst Therese, eine frühere Hausangestellte von Auerbachers Großeltern, in dunkler Zeit mutig für das Gute entschied: Sie versorgte Inges Familie unter großem Risiko mit Essen, versteckte private Gegenstände, etwa die Fotoalben.
Neben Auerbacher wird Israels Parlamentspräsident Mickey Levy sprechen, die Gedenkstunde beginnt um 10 Uhr.
Nicht jeder Rechtsaußen darf rein
Sie kennen sicherlich die Bilder vom Balkon der Ungeimpften im Bundestag, spöttisch auch »Seuchentribüne« genannt: Oberhalb der AfD-Fraktion müssen jene Rechtsaußen sitzen, die wegen der für den Plenarsaal geltenden 2G-Plus-Regelung keinen Zutritt mehr haben.
Da die heutige Gedenkfeier allerdings keine reguläre Plenarsitzung ist, gelten andere Regeln. Und die besagen: Teilnehmen dürfen nur geimpfte oder genesene Abgeordnete. Das gilt auch für die Tribünen.
AfD-Politiker auf »Seuchentribüne«
Foto: Michael Kappeler / dpa
Die AfD versuchte es noch vorm Bundesverfassungsgericht mit einem Eilantrag gegen die Regelung – doch der wurde abgewiesen. Ein »schwerer Nachteil« für die Abgeordneten sei nicht gegeben. Die rechten Impfverweigerer müssen draußen bleiben.
Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, verteidigt im Interview mit meiner Kollegin Katharina Horban die Regelung im Bundestag: Es sei ja »ein selbst gewähltes Schicksal«. Jeder könne sich impfen lassen, niemand werde ausgeschlossen.
Das Gedenken, meint Klein, sollte eigentlich »eine Lehrstunde für die AfD« sein. Allerdings habe er nicht den Eindruck, dass die direkte Ansprache Charlotte Knoblochs im vergangenen Jahr »eine größere Diskussion in der AfD ausgelöst« habe.
Leider nicht.
5000 Helme gegen Putin
Definiere unglückliche Symbolpolitik! Und schon sind wir bei Christine Lambrecht. Die SPD-Verteidigungsministerin hat einer Bitte der Ukraine entsprochen und die Erfüllung dieses, nun ja, nicht sehr komplizierten Wunsches aufgepumpt zur großen Geste.
Auf Wunsch Kiews werde Deutschland der Ukraine 5000 militärische Schutzhelme liefern, hat Lambrecht wissen lassen. Gute Sache. Aber Lambrecht fuhr fort: Dies sei ein Zeichen, dass Deutschland »ganz nah an der Seite der Ukraine« stehe. Solch ein Spruch wiederum wirkt wie Satire.
Verteidigungsministerin Lambrecht im Dezember zu Besuch auf einer Militärbasis in Litauen
Foto: INTS KALNINS / REUTERS
Im Kreml zittern sie bestimmt schon wegen der Bundeswehrhelme. Hoffentlich haben sie in der Bundesregierung sichergestellt, dass die Dinger nicht als Offensivwaffen einzusetzen sind.
Ernsthaft: Egal, wie man zu möglichen deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine steht (ich halte nichts davon, wie gestern an dieser Stelle begründet): Diese Helm-Rhetorik der Ministerin ist kontraproduktiv. Nichts gegen die Lieferung von Schutzhelmen, aber dann ist auch gut. Machen wir nicht mehr daraus, als es ist: ein paar Tausend Helme.
Deutschland wirkt in der Ukrainekrise wie der Scheinriese aus Jim Knopf: Von Ferne sieht er groß aus; nähert man sich, wird er immer kleiner.
Gewinner des Tages…
Afrikanischer Krallenfrosch
Foto: blickwinkel / IMAGO
… sind Krallenfrösche ohne Hinterbeine. US-Forschern ist es gelungen, mithilfe eines auf die Wunde aufgetragenen Medikamenten-Cocktails das Wachstum neuer funktionsfähiger Beine zu stimulieren. Innerhalb von 18 Monaten waren die da. Sauber.
Könnte das auch beim Menschen funktionieren? Unklar. Schließlich hat der Mensch in Relation zum Krallenfrosch größere und komplexere Gliedmaße.
Übrigens: Bevor die hier erwähnten Frösche Gewinner wurden, waren sie Verlierer. Denn ihre Beine wurden amputiert von eben jenen Forschern, die ihnen dann später neue machten.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer