Als Alexander Lukaschenko in Bruzgi auftritt, überträgt das Staatsfernsehen live. In dem Ort etwa einen Kilometer von der polnischen Grenze entfernt sitzen seit Wochen Migrantinnen und Migranten fest, die in Belarus gestrandet sind und in die EU wollen. »Wir Belarussen, mich eingeschlossen, werden alles tun, was Sie wollen, auch wenn es schlecht ist für Polen, Letten und einige andere Menschen«, sagt Lukaschenko.
Es ist die Fortsetzung seiner Versuche, Druck auf die Europäische Union auszuüben. Er werde alles dafür tun, die westlichen Regierungen zu bitten, den Menschen zu helfen. »Wenn die Deutschen und Polen mich heute nicht hören, bin ich nicht schuld.« Erneut forderte er Deutschland auf, 2000 Migrantinnen und Migranten aufzunehmen. Dies hatte Berlin bereits wiederholt abgelehnt.
AdvertisementDie EU zeigt weiter Härte gegenüber dem belarussischen Diktator, der sie zu erpressen versucht. Lukaschenko hatte gehofft, die harten Sanktionen gegen sein Regime aufweichen zu können. Stattdessen kündigte Brüssel an, in Kürze neue Strafmaßnahmen verhängen zu wollen.
Schutzsuchende in der Lagerhalle, dem »Transport- und Logistikzentrum« Bruzgi
Foto: LEONID SCHEGLOV / BelTA / HANDOUT / EPA
Davon aber wissen die wenigsten der bis zu 1800 Geflüchteten, die das Regime in einer Lagerhalle in Bruzgi unterbringen ließ. Sie schöpfen aus Lukaschenkos Visite Hoffnung.
Viele der Menschen glaubten nun, dass sie schon bald nach Deutschland könnten, schreiben Flüchtlinge dem SPIEGEL, die in den Regalen des »Transport- und Logistikzentrums« weiter ausharren. »Die Menschen hier sind so froh, dass Lukaschenko ihnen versprochen hat, sie in den Westen zu bringen«, so der Kurde Hawre. Dabei gebe es keine konkreten Angaben, wie das geschehen solle. Das Staatsfernsehen zeigte klatschende Schutzsuchende, die Lukaschenko danken.
Der Machthaber versucht derweil weiter, in der »Migrationskrise« zu lavieren – einer Krise, die er selbst geschaffen hat. Sein Regime hatte über Monate Menschen aus dem Nahen Osten mit Touristenvisa ins Land gelockt und sie an die Grenze nach Litauen und Polen bringen lassen. Dort drängen Sicherheitskräfte der beiden EU-Länder die Menschen seit Monaten zurück. Tausende, vor allem Nordiraker und Syrer, sitzen in Belarus fest.
Doppeltes Spiel des Machthabers
Lukaschenko spielt auf Zeit.
Einerseits lässt er die Menschen in Bruzgi notdürftig versorgen und die Staatsmedien darüber ausführlich berichten. Mehrere Hundert Menschen hat das Regime in den Irak ausfliegen lassen. Diese Sonderflüge von Iraqi Airways nach Erbil gleichen inzwischen Sicherheitsoperationen: Kleinbusse bringen die Menschen zum Flughafen in Minsk. Viele Belarussinen und Belarussen kennen die Fahrzeuge aus den Monaten der Proteste gegen Lukaschenko im vergangenen Jahr. In solchen Fahrzeugen wurden sie in Polizeistationen und Gefängnisse gebracht. Sicherheitsleute mit Knopf im Ohr und Funkgeräten begleiten die Geflüchteten bis zum Gate.
Andererseits lässt das belarussische Regime weiter Geflüchtete an die Grenze bringen und Richtung Polen, Litauen und Lettland drängen. Dutzende Menschen berichten von Prügeln und Misshandlungen durch belarussische Sicherheitskräfte, die sie nicht nach Minsk zurückließen.
Forderung von Millionen Dollar
In Minsk sind Tausende Menschen auf sich gestellt. Dort ruhen sie sich aus, verstecken sich in Wohnungen und Hostels. Wer kein Geld mehr hat, schläft auf der Straße. Die ersten Migranten haben nun begonnen, ihre Visa zu verlängern, die bei vielen bereits ausgelaufen sind – was bei der Zahlung von einer Gebühr von 100 Dollar möglich ist.
Lukaschenko machte am Freitag derweil eine Rechnung auf: Etwa 12,6 Millionen Dollar habe sein Land angeblich ausgegeben, um die Migranten zu versorgen. Er forderte die EU auf, Belarus finanziell zu unterstützen. Dabei hatte das Regime durch Ausstellen von Visa und Übernachtungen in Hotels in Minsk, die mit der Präsidialverwaltung verbunden sind, Millionen Dollar verdient.
Die EU hatte angekündigt, 700.000 Euro für humanitäre Hilfe zu gewähren – Geld, das aber nicht den belarussischen Behörden zukommt, sondern dem Internationalen Roten Kreuz. 3,5 Millionen Euro will Brüssel für die Rückreise der gestrandeten Menschen in Belarus über Uno-Organisationen bereitstellen.