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Wirecard-Skandal: Regierung in Not

Es lief ziemlich gut zuletzt für Olaf Scholz: Obwohl er das Rennen um den SPD-Vorsitz im vergangenen Jahr verloren hatte, gilt er inzwischen als Favorit auf die Kanzlerkandidatur seiner Partei für die anstehende Bundestagswahl 2021. Ein erfolgreiches Krisenmanagement in der noch anhaltenden Corona-Krise, die vernunftgeleitete Abkehr von der schwarzen Null, die Umkehr in der EU-Finanzpolitik, die er mit austüftelte – die Deutschen trauen den Sozialdemokraten mit Scholz am meisten zu. Und selbst die Parteilinken hatten zuletzt wohltuende Worte für ihn übrig.

Kann Scholz überhaupt noch etwas in die Quere kommen?

Es kann. Der Fall Wirecard liefert jedenfalls die besten Zutaten für eine deftige Politaffäre. Eine Affäre, die bedrohlich nah am Finanzminister spielt. Die nicht nur ihn, sondern auch weitere Akteure der Bundesregierung zunehmend in Erklärungsnot bringt: den Wirtschaftsminister, sogar die Kanzlerin. Wer wusste wann was – und wer hat was unternommen? Oder auch nicht? Der Wirecard-Skandal wird zur Belastung für die Große Koalition.

1,9 Milliarden Euro an Luftbuchungen schrieb sich das inzwischen insolvente Dax-Unternehmen Wirecard in seine Bücher, was ein Viertel der Gesamtbilanz des Unternehmens ausmacht. Der Vorwurf: Bilanzfälschung und Marktmanipulation. Warum das offenkundig über Jahre an Wirtschaftsprüfern und der Finanzaufsicht Bafin vorbeiging, wirft Fragen auf – auch an die politisch Verantwortlichen.

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“Der bisherige Versuch von Minister Scholz, nur scheibchenweise aufzuklären und sich im Übrigen selbst zu bescheinigen, dass bei der Aufsicht über Wirecard keine Fehler gemacht wurden, ist krachend gescheitert”, sagte der finanzpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar.

Hat das Finanzministerium den Fall unterschätzt?

Auch aus der Union kamen Angriffe gegen den Vizekanzler: Finanzpolitiker Hans Michelbach warf Scholz vor, er trage “natürlich die Gesamtverantwortung dafür, wie in seinem Zuständigkeitsbereich mit dem Skandal umgegangen wurde”, sagte der CSU-Abgeordnete der “Passauer Neuen Presse” am Wochenende.

Die SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe witterte dahinter ein “klar parteipolitisch motiviertes Manöver, wie wir es uns als Koalitionspartner eigentlich nicht erlauben sollten”, wie sie dem SPIEGEL sagt – um gleich mit dem Finger auf die Union zu zeigen: Die ersten Hinweise auf Ungereimtheiten bei Wirecard habe es schon zur Amtszeit von Finanzminister Wolfgang Schäuble gegeben.

Kiziltepe gehört eigentlich nicht zum Scholz-Lager, was zumindest als Signal verstanden werden könnte, dass sich die Partei hinter den Finanzminister stellt – vorerst zumindest.

Das Scholz-Ministerium wollte eigentlich schon vergangene Woche die Gemüter beruhigen. In einem 20-seitigen Sachstandsbericht des Bundesfinanzministeriums, das dem Finanzausschuss übermittelt wurde, heißt es: “Um das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt dauerhaft zu stärken, müssen aus den Vorkommnissen um die Wirecard AG die erforderlichen Konsequenzen gezogen werden”, deshalb arbeite das Ministerium an einer “umfassenden Aufklärung”. Wie ein Sprecher sagte, habe man bereits einen Aktionsplan ausgearbeitet, der nun noch im Kabinett abgestimmt werden soll.

Doch eine weitere Telefonkonferenz des Finanzausschusses mit Staatssekretär Jörg Kukies ließ offenbar zu viele Fragen unbeantwortet. Nun wollen die Abgeordneten mit dem Minister selbst sprechen und haben ihn für den kommenden Mittwoch zu einer Sondersitzung des Finanzausschusses geladen, in der er sich erklären soll. Ebenso soll ein Vertreter der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) eingeladen werden, die mit der Analyse der Wirecard-Bilanz beauftragt war.

In der Sitzung wird es beispielsweise um die Frage gehen, wie es sein kann, dass Scholz schon im Februar 2019 über Ungereimtheiten bei Wirecard informiert wurde, dass die Bafin “in alle Richtungen” wegen mutmaßlicher Marktmanipulation ermittelt, dies sogar öffentlich bekannt war, und das Finanzministerium trotzdem offenbar nicht allzu viel unternahm, um sich der Sache anzunehmen.

Scholz verteidigte sich am Wochenende per TV-Interview: Schon in dem Bericht habe das Ministerium Bereitschaft zur Aufklärung signalisiert. “Das Erste ist, wir müssen prüfen, warum es passiert ist, dass die Wirtschaftsprüfer das zehn Jahre lang nicht rausgefunden haben”, sagte Scholz. Und schob damit den Schwarzen Peter dem unionsgeführten Wirtschaftsministerium zu, das wiederum in erster Linie für die Wirtschaftsprüfungsunternehmen zuständig ist.

CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier äußerte sich persönlich bisher nicht, wird nun aber ebenfalls auf Drängen der SPD-Abgeordneten Kiziltepe zur Sondersitzung geladen. Über eine Sprecherin ließ er ausrichten: “Alle beteiligten Stellen sind aufgefordert, die unsäglichen Vorfälle bei Wirecard aufzuklären, das gilt selbstverständlich auch für alle betroffenen Bundesressorts.”

Und auch für das Kanzleramt. Am Freitag hatte der SPIEGEL darüber berichtet, dass Ex-Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg im September für Wirecard bei Kanzlerin Angela Merkel lobbyierte. Offenbar mit Erfolg, denn kurz danach hatte Merkel den China-Deal auf einer Reise in das Land angesprochen, persönlich, wie eine Regierungssprecherin am Montag bestätigte. Zuvor hatte sich das Kanzleramt noch außerstande gesehen, eine entsprechende SPIEGEL-Nachfrage bereits vom Freitagabend zu beantworten.

“Das Problem ist natürlich nicht, dass die Kanzlerin sich im Ausland für ein deutsches Unternehmen einsetzt”, sagte Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. “Das Problem ist, dass sie das zu einem Zeitpunkt gemacht hat, an dem sie von zuständigen Ministern und Behörden schon längst hätte gewarnt sein müssen. In dieser Sache hat einfach der Dilettantismus regiert, das muss man so hart feststellen.”

Michelbach rudert zurück

Nun, da auch Unionskollegen in den Fokus geraten, wollte CSU-Mann Michelbach seine Kritik an Scholz nicht wiederholen. Ganz grundsätzlich forderte er “Aufklärung darüber, wie es zu dem Wirecard-Desaster kommen konnte und wer dafür die Verantwortung trägt, dass nicht früher Gegenmaßnahmen ergriffen wurden und dadurch erheblicher Schaden für die Anleger entstanden ist”. Zuvor hatte Michelbach Scholz schon als alleinigen Schuldigen ausgemacht.

Womöglich ist der Skandal für die Koalition noch länger nicht ausgestanden: Ein Untersuchungsausschuss steht im Raum. Der Linken-Abgeordnete Fabio de Masi hält ihn bereits für “unvermeidlich”, auch die FDP sieht den Bundestag kurz davor. Grünen-Mann Bayaz gibt der Regierung eine letzte Chance: “Die Bundesregierung hat es selbst in der Hand, einen Untersuchungsausschuss abzuwenden.”

Icon: Der Spiegel

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