Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
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Corona-Gipfel in Brüssel: Wann wird Sparsamkeit zu Geiz?
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Washington D.C.: Ein neuer Bundesstaat, geht das?
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Wirecard: Was sagte die Kanzlerin?
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1. Gespart, getan
Als “Die sparsamen Vier” zogen da also die Regierungschefs von Dänemark, Österreich, Schweden und den Niederlanden nach Brüssel zum Corona-Gipfel. Ihre Mission: Durchsetzen, dass die EU ihre Hilfsmilliarden nur unter strengen Auflagen verteilt. Dass es eher Kredite werden, die zumindest in der Theorie irgendwann zurückgezahlt werden – und weniger Zuschüsse.
Als ich den politischen Kampfnamen der Gruppe zum ersten Mal las, musste ich an das Kinderbuch “Die hässlichen Fünf” denken: Darin tun sich die wenig attraktiven afrikanischen Wildtiere Gnu, Hyäne, Geier, Warzenschwein und Marabu singend zusammen, gezeichnet vom unvermeidlichen “Grüffelo“-Autor Axel Scheffler. Es passiert nicht viel, aber am Ende finden die Tierkinder, ihre Eltern sind “so schön” und die “Besten der Welt”. Die Moral des Buches: Hässlichkeit liegt im Auge des Betrachters.
Der Marathon-Gipfel in Brüssel lief am frühen Montagabend noch immer. Aus den “Sparsamen Vier” wurden, nachdem Finnland zur Gruppe gestoßen war, die “Sparsamen Fünf” – oder einfach nur “die Sparsamen”. Auf den Framing-Erfolg folgten Verhandlungserfolge, wie unsere Brüssel-Korrespondenten Markus Becker und Peter Müller berichten: “Reduzierte Zuschüsse, höhere Rabatte, mehr Kontrolle bei der Verwendung der Gelder.” Das Selbstbewusstsein der kleinen EU-Mitglieder ist gewachsen, analysieren sie, Deutschland und Frankreich bekamen zu spüren, dass sie nicht mehr alles durchdrücken konnten.
Täglich schrumpfte das Milliardenpaket, der Frust wuchs, schreiben die Kollegen: Emmanuel Macron soll vor Wut auf den Tisch gehauen und die “Sparsamen” der Kleingeistigkeit geziehen haben. Italiens Premier Giuseppe Conte fuhr den niederländischen Kollegen Rutte an: “Du wirst für ein paar Tage in deiner Heimat ein Held sein, aber nach einigen Wochen wirst du von allen europäischen Bürgern dafür verantwortlich gemacht werden, eine angemessene und effektive europäische Antwort blockiert zu haben.” Wie im Kinderbuch gilt: alles eine Frage der Perspektive. Gut möglich, dass die “Sparsamen” als die “Geizigen Fünf” in die EU-Geschichte eingehen.
2. Sterne zählen
50 Sterne lassen sich auf der amerikanischen Flagge zählen, jeder steht für einen Bundesstaat, als letztes kam 1959 Hawaii hinzu. Wird es bald einer mehr? Bereits seit Langem gibt es bei den US-Demokraten Bestrebungen, den Status der Hauptstadt Washington D.C. zu ändern und aus ihr den 51. Bundesstaat zu machen. Eine Abstimmung im Repräsentantenhaus brachte sie diesem Ziel jüngst einen Schritt näher: Die Mehrheit der aktuell von Demokraten dominierten Kammer votiere für “D.C. statehood”.
Die Befürworter finden, dass das jetzige System der – zu gut 45 Prozent schwarzen – Hauptstadtbevölkerung ihre demokratischen Rechte vorenthalte. Republikaner hingegen fürchten eine Verschiebung der Machtbalance im Kongress, sollte die Demokratenhochburg zum Bundesstaat werden. Sie sind strikt dagegen; nicht wenige unter ihnen bezeichnen den Schritt als verfassungswidrig. Mein Kollege Alexander Sarovic erklärt hier, wie die Chancen (und die Sterne) stehen.
3. Wieder eine Folge “Wirecard”
Die Misserfolgsserie “Wirecard” geht in die nächste Staffel: Welche Rolle spielt die Bundesregierung im Bilanzskandal. Nachdem der SPIEGEL berichtet hatte, dass sich das Kanzleramt bei einer Chinareise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für den Zahlungsdienstleister aus Deutschland eingesetzt hatte, räumt nun die Bundesregierung ein, dass Merkel Wirecard persönlich zum Thema machte. “Sie hat es angesprochen”, sagte eine Sprecherin. Details zum Inhalt der Gespräche nannte sie nicht. Grundsätzlich setze sich das Kanzleramt auf Auslandsreisen immer wieder für deutsche Unternehmen ein.
Der SPIEGEL hatte am Freitag über die erfolgreiche Lobbyarbeit von Ex-Minister Karl-Theodor zu Guttenberg für den Markteintritt Wirecards in China bei Bundeskanzlerin Merkel berichtet. Das Kanzleramt gestand ein, dem Unternehmen eine “Flankierung” im Rahmen der Reise im September 2019 gewährt zu haben, ließ in seiner Antwort allerdings offen, wie genau das Thema angesprochen wurde – und vor allem von wem.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Der Arzt, den die Deutschen schauen
Wann haben Sie das erste Mal Eckart von Hirschhausen wahrgenommen? Gar nicht so einfach, oder? Man hat das Gefühl, der Arzt-Comedian-Moderator war immer schon da, wie die “Tagesschau”-SprecherInnen und der Sat.1-Ball. Vielleicht kam er mit den Auftritten in der “Harald Schmidt Show” in mein Leben, von der ich behaupten würde, 98 Prozent aller Folgen mindestens einmal gesehen zu haben. (Übrigens: Zu allen Folgen der Schmidt’schen Videokolumne geht es hier entlang.)
Mein Kollege Nils Minkmar hat Hirschhausen begleitet, um ihn zu porträtieren, hat Shows besucht und so gut wie alles gelesen, was er über ihn finden konnte. Warum wird überall gelacht, wo Hirschhausen etwas sagt, auch wenn er keine Witze macht? “Das hängt mit einer Eigenart seiner Sprechweise zusammen: Wenn er redet, klingt es, als ob er lachte. Die Stimme geht in die Höhe, er gluckst, kichert und hellt damit die Atmosphäre auf – auch wenn keine Pointe kommt”, schreibt Nils.
Diesem Mann nahekommen, der einem dauernd begegnet, auf Bildschirmen, Buchdeckeln, Zeitschriftenseiten; über den man sonst nicht weiter nachdenkt, das gelingt Nils – obwohl Hirschhausen ein überaus privater Mensch ist. “Er wurde in den Neunzigerjahren bekannt, er gehört zur letzten Generation von Fernsehprominenten. Das Publikum konnte ihn ohne die Gewitter der digitalen Öffentlichkeit kennenlernen.” Das hat sich geändert, aus Vorsicht verrät Hirschhausen zum Beispiel nicht, in welcher Stadt er lebt.
Nils beschreibt die Karriere des Arztes als einen Bogen: Hirschhausen engagiert sich wieder stärker politisch, vor allem im Kampf gegen den Klimawandel. “Im Grunde ist das eine Rückkehr zum Engagement seiner Jugend, als er vor Wackersdorf demonstrierte.”
SPIEGEL Update – Die Nachrichten
Was heute sonst noch wichtig ist
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Frankfurt verhängt Betretungsverbot für Opernplatz: Die Stadt hat auf die Krawalle am Wochenende reagiert: Der Opernplatz soll zeitweise gesperrt werden. Der Polizeipräsident gab zudem neue Informationen über die Verdächtigen bekannt.
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Putin setzt inhaftierten Gouverneur von Chabarowsk ab: Seit Tagen gibt es in der russischen Region wegen der Verhaftung des Politikers Sergej Furgal Massenproteste. Jetzt hat Präsident ihn per Dekret des Amtes enthoben.
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Großbritannien setzt Auslieferungsabkommen mit Hongkong aus: Die Londoner Regierung verschärft im Streit über das neue “Sicherheitsgesetz” in der chinesischen Sonderverwaltungszone die Gangart. Es sollen vorerst keine Verdächtigen mehr ausgeliefert werden.
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Masken mindern körperliche Belastbarkeit gesunder Menschen: Den ganzen Tag mit Mund-Nasen-Schutz zu arbeiten, reduziert die Leistungsfähigkeit, wie nun eine Studie belegt.
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Vereinigte Arabische Emirate schicken Sonde Richtung Mars: Nach zweimaligem Aufschub hat das Land seine erste Marsmission gestartet. Die Raumsonde “Hope” soll das Klima des Roten Planeten über ein komplettes Marsjahr erfassen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
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Kliniken, Energieversorgung, Müllabfuhr: Das Versprechen, dass in privater Regie alles besser funktioniert, wurde oft enttäuscht. Mit der Pandemie kehrt der Staat zurück. Kann das gut gehen?
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Warum feuerte ein Kölner Polizist potenziell tödliche Schüsse auf einen Flüchtenden ab? Antworten könnte ein Gerichtsprozess liefern. Doch den wird es vielleicht nicht geben.
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Pigmentflecken, Neurodermitis – die Schadstoffe in der Luft können unsere Haut angreifen. Umweltmediziner haben erforscht, was man dagegen tun kann.
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Vor den Urlaubsstränden der deutschen Küste liegen weitgehend unerforschte Riffe mit großer Artenvielfalt. Doch ihre Existenz ist bedroht – vor allem durch die Fischerei.
Was heute nicht so wichtig ist
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America Bürst: Die neue Frisur gehört zu den wenigen überprüfbaren Äußerungen beim, nun ja, Wahlkampfauftritt Kanye Wests, 43, in North Charleston. Der professionelle Aufmerksamkeitserzeuger hat sich die Jahreszahl 2020 ins Haar rasieren lassen, und die ist weitgehend unstrittig. Vieles andere bleibt unklar: Hält er sich wirklich für einen Diener Gottes, wie er sagt? Wie ernst meint er es mit der Ankündigung, für die Präsidentschaft zu kandidieren? “Ist mir scheißegal, ob ich gewinne oder nicht.”
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Nummer drei samt Faltigkeit: Beverley Mitchell, 39, frühere Fromme-Tochter-Darstellerin in der enervierend-missionarischen Familienserie “Eine himmlische Familie” (“Seventh Heaven”), hat die Geburt ihres dritten Kindes via “US Weekly” verkündet und Knautsch-Fotos bei Instagram veröffentlicht. Mayzel Josephine heißt die Kleine; die Geschwister Hutton, 5, und Kenzie, 7, freuen sich, wie es heißt. “Sie versprechen, sie zu beschützen und sich um sie zu kümmern.” Amen.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: “Tu es für dich selbst und für dich.”
Cartoon des Tages: Die schönsten Wochen des Jahres
Und heute Abend?
Vielleicht mal wieder ein Brettspiel spielen? Ich habe gelesen, dass “Pictures” sich seit heute mit dem Titel “Spiel des Jahres” schmücken darf. Ehrlich gesagt: Ich kenne es nicht. Aber “Monopoly” geht ja auch.
In diesem Sinne: erst Abendbrot, dann Schlossallee.
Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion
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